Bereits seit 9 Wochen kennen die Börsenkurse an der Wall Street nur eine Richtung – nach oben und dies trotz sich ständig verschlechternden exogenen Faktoren. Viel Widersprüchlichkeit, die sich am besten im Verhalten und in der Kommunikation der Investmentlegende Warren Buffett ausdrückt. Der bereits 88-Jährige hortet in seiner Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway über 100 Mrd. $ in Cash, weil er keine vernünftige, sprich günstige Anlagemöglichkeit derzeit findet. Gleichzeitig sagte er gestern im Interview: „Stocks are incredibly cheap!“ Ja, was denn nun?
Klar bewertet die Börse die Zukunft, die keiner seriös vorhersagen kann, zeitlos prägnant durch das Bonmot eines alten Börsenreporters im Zusammenhang mit der Validität von Unternehmensmeldungen formuliert: „Fürs Gehabte gibts nichts.“ Aber derzeit scheint das Prinzip Hoffnung an der Börse doch sehr bestimmend zu sein. Ein paar Argumente.
Das Dilemma der Fed
Die ganze Widersprüchlichkeit der Börse offenbart sich im „Wording“ der US-Notenbank Fed. Man deutet eine Pause im Zinszyklus (und vielleicht sogar in der Bilanzreduzierung) an, spricht von Konjunkturrisiken, gleichzeitig erwartet man aber keine Rezession. Sollte diese kommen, wäre die Bewertung der Börse viel zu hoch, schließlich sind es beim Dow nicht einmal vier Prozent bis zum All Time High. Gibt es keine Rezession und eventuell sogar inflationäre Tendenzen durch den Zollstreit müsste man die Zinsen anheben, mit genauso fatalen Auswirkungen auf die Kurse. Kurzum: Das beste Szenario ist eingepreist.
Die Abschwächung der Weltwirtschaft
Eine „slowing economy“ ist das Tagesthema an den Börsen, jedoch bezieht man dies an der Wall Street stets auf China, Europa und den Rest der Welt. Zwar wird in Q1 in den USA mit einem richtigen Gewinneinbruch gerechnet, aber man vertraut in New York auf eine stabile Konsumentenstimmung sowie auf eine Erholung der Wachstumszahlen im zweiten Halbjahr. Was passiert, wenn es nicht dazu kommt?
Der Handelsstreit und der Brexit
Im Handelsstreit jubeln die Märkte derzeit über jede Aussage zu einer Annäherung der beiden Kontrahenten USA und China. Ein gesichtswahrender Kompromiss auf Zeit ist meines Erachtens sehr wahrscheinlich, schließlich haben beide Seiten sehr viel zu verlieren. China kämpft mit rezessiven Tendenzen seiner Wirtschaft und Trump hat nur ein Ziel im Auge, seine Wiederwahl und da muss er in puncto Wirtschaftabschwung sowie in der Kursentwicklung an der Wall Street äußerst vorsichtig agieren.
Was sich gleichzeitig als Damoklesschwert für die Eurozone und insbesondere Deutschland herausstellen könnte: Die Erhebung von US-Zöllen in Höhe von 25% wäre ein richtiger Rezessionstreiber, wie ich gestern Morgen in einem Kommentar zu den Auswirkungen auf die deutschen Automobilhersteller dargelegt habe. Wenn der US-Präsident glaubt, eine Rezession in Europa würde die USA nicht tangieren – für mich ganz schönes Wunschdenken.
Beim Dauerthema Brexit wird über eine zweijährige Verschiebung des EU-Austritts Großbritanniens spekuliert, was durchaus logisch erscheint, aber war das Abstimmungsergebnis 2016 auch logisch?
Insgesamt betrachtet sind die Aktienkäufe in Zeiten niedriger und niedrigster Zinsen auch eine Flucht zur Rendite.
Es hat den Anschein, als ob viele Großanleger Dividendentitel als Zinsersatz ansehen.
Fazit
Wann kommt nun die Korrektur? Viele technische Indikatoren befinden sich doch schon seit Tagen / Wochen am Anschlag. Hierzu gibt es aus meiner bescheidenen Sicht zwei Ansätze.
Der S&P 500 befindet sich fast im Widerstandsbereich von 2820, wo es an den Optionsmärkten (open interest ) zu einem schönen Ausverkauf kommen könnte.
Die zweite Alternative ist ein weiterer Anstieg der Kurse in Richtung ATH (dem Dow fehlten keine 4% mehr). Die „Kleinen“ schaffen kein neues Hoch, während die „Großen“ Stücke abgeben – von den starken zu den schwachen Händen, wie so oft am Ende eines Zyklus. Ein langfristiges Doppel-Top.
Man mag sich aber gar nicht ausmalen, was geschieht, sollten die Kurse auf neue ATHs getrieben werden. Neue Hochs generieren sehr starke Kaufsignale, was die großen Adressen zur Shortsqueeze zwänge.
Aber ich will nicht den „Bären“-Teufel an die Wand malen.
Der Turmbau zu Babel nach Lucas van Valckenborch: viel Sprach-Verwirrung
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Eine Erklärung hätte auch ich:
Die positive Kraft des negativen Denkens?