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Alte Rezepte funktionieren nicht mehr China im Krisenmodus: Parteiführung rat- und planlos

"Verlorenes Jahrzehnt" und das Gespenst der Deflation

China Parteiführung ratlos

Die steigende Angst vor einer Deflation sowie die Befürchtung eines „verlorenen Jahrzehnts“ wie in Japan verstärken die Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft in China. Wie will Peking es schaffen, nachhaltiges Wachstum zu schaffen, angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung? Die Machthaber in Peking haben dafür keine Lösungen parat – alte Rezepte funktionieren nicht mehr.

China und das Gespenst der Deflation

Als Anfang dieser Woche die monatliche Veränderung des Konsumerpreisindexes (CPI) vom Nationalen Statistikamt bekanntgegeben wurde, war die Überraschung groß. Im Jahresvergleich veränderte sich der Preisindex nicht, zum vorausgegangenen Monat sank er sogar um 0,2 %. Dass die Einkaufspreise für die Industrie (PPI) um einen weiteren Punkt ins Negative rutschen (-5,4 %) war da schon eher Nebensache. Das Gespenst der Deflation geht um. Und die Angst vor einem „verlorenen Jahrzehnt“, wie in Japan.

Das „verlorene Jahrzehnt“ mit Wachstumsraten im Durchschnitt von 1% in den 1990ern wurde verursacht dadurch, dass „Japans Banken (…) mehr verliehen (haben), ohne viel Rücksicht auf die Qualität des Kreditnehmers, als alle anderen. Dadurch haben sie zur übertriebenen Aufblähung der Bubble-Wirtschaft beigetragen“, wie Paul Krugman erklärte.

Rat- und Planlosigkeit der chinesischen Fuehrung

Was viel schlimmer erscheint: Die Staats- und Parteiführung in China scheint rat- und planlos zu sein, wie man die Wirtschaft stimulieren soll. Klar scheint nur zu sein, dass das alte Drehbuch aus Beijing nicht mehr funktioniert, das im Wesentlichen daraus bestand, die Angebotsseite zu stützen.

Aber auch Anreize auf der Nachfrageseite verfehlen ihre Wirkung: Die Banken wurden daher gebeten, die Kredite günstiger zu machen, um den Konsum und Immobilienkäufe anzukurbeln – was aber nicht half.

Der ehemalige Premier Li Keqiang, der eher der Wirtschaft zugeneigt war, ist „Fischen gegangen“ – ein Euphemismus, der im Chinesischen jemanden beschreibt, der seinen Ämtern den Rücken gekehrt hat und nun als Privatier den Freuden des Lebens frönt. Seine wirtschaftspolitische Kompetenz fehlt offenbar derzeit in Beijing.

Was Männer, die „fischen gegangen“ sind, sich für Anwesen gebaut haben, kann man z.B. in Suzhou betrachten, der Kaiserstadt zu Marco Polos Zeiten. Suzhou ist bekannt für seine Gärten, wie den „Garten des demütigen Beamten“.

Xi Jinping auf Inspektionstour in Jiangsu: Seid Chinesisch!

Nach Suzhou verschlug es Xi Jinping, der drei Tage lang Suzhou und die Jiangsu -Provinz besuchte, die Heimat seines verstorbenen Vor-Vorgängers Jiang Zemin und Keimzelle von Alibaba. Dort hielt er offenbar mehr oder weniger spontan eine fast dreieinhalbstündige Rede unter freiem Himmel, was angesichts der Temperaturen eine sportliche Leistung ist, aber wohl entgegen der Empfehlungen des National Meteorological Center ist, die eine Hitzewarnung herausgegeben hatte. Allerdings sprach er nach Augenzeugenberichten nicht über die Wirtschaft, sondern über seine Version des „China First“, die „12 Chinese Do’s“: Man solle chinesisch essen, trinken, sprechen, verhalten und kaufen etc.

Premier Li Qiang berät mit Experten über die Wirtschaft

Derweil berät sein Premier Li Qiang, ehemaliger Parteichef eben jener Provinz Jiangsu, die Xi Jinping derzeit inspiziert, in Beijing mit Experten, wie man die Wirtschaft unterstützen könnte.

Li Qiang hat in den beiden Provinzen, die am wirtschaftsfreundlichsten sind und dem Wirtschafts- und Finanzzentrum Shanghai angeschlossen sind, gedient. Er selbst stammt aus der Nähe von Wenzhou, einem Rückgrat der chinesischen Exportwirtschaft, dominiert von christlichen Fabrikbesitzern mit einer fast puritanischen Ethik. Von daher gilt er eher als offen für neue Wege.

In der vergangenen Woche traf er sich erst mit Finanzexperten, die sich in der Vergangenheit für Reformen ausgesprochen hatten und anschließend mit Vertretern der „Plattformindustrie“, wie in China die Internetgiganten genannt werden. Der Adler kreist und die Frage ist, ob er eine Maus oder einen Löwen gebären wird.

China im Krisenmodus

Dabei steht China in mehreren Krisen-Situationen, vier davon sind strukturell und drei davon verstärken sich gegenseitig.

Die demographische Hypothek

China steht erstens vor einer massiven Vergreisung und Bevölkerungsschwund. Die aktuellen Zahlen über Geburten in China lassen vermuten, dass die ohnehin schon pessimistische Vorhersage von Xi Fuxian übertroffen wird. Die Bevölkerung schrumpft schon jetzt, und der Anteil der Rentner wird auf 36% der Bevölkerung steigen – und das in einem Land, das in keiner Weise darauf vorbereitet ist. Weder hinsichtlich sozialer Sicherungssysteme wie Kranken- oder Rentenversicherung, noch institutionell mit ausreichenden Altersheimen oder adäquater Kranken- und Pflegeversorgung. China verlässt sich weiterhin auf die kindliche Pietät, die besagt, dass die Töchter die Alten versorgen, was in einer hochmobilen Gesellschaft, in der die Frauen „fünfzig Prozent des Himmels tragen“ – aka voll berufstätig sind – schon jetzt nur schwer zu bewerkstelligen ist.

Auf der anderen Seite wächst eine „verlorene Generation“ heran. Die Arbeitslosigkeit unter den jungen Arbeitnehmern betrug im Mai 20,8%. Die Schulen und Universitäten haben mittlerweile das Schuljahr beendet, was bedeutet, dass eine neue Generation von Absolventen auf den Arbeitsmarkt drängt. Allein 11,6 Millionen Universitätsabsolventen strömen auf den Arbeitsmarkt. Da die Rate, mit der Absolventen einen Job bekommen, die Reputation der jeweiligen Hochschule mitbestimmt, die dann wiederum die Qualität der neuen Studenten bestimmt, scheinen Hochschulen massiv Arbeitsverträge zu fälschen oder minderwertige Jobs in ihrem Umfeld anzubieten, z. B. als Tutoren oder „Ärzte“, die eher Hilfskräfte sind.

Die Immobilienkrise

Wenn es weniger Menschen gibt, dann brauchen diese auch potenziell weniger Wohnungen. Der chinesische Immobilienmarkt ist seit Jahren in der Krise, und es gibt keine Anzeichen einer Erholung. Anfang des Monats gestand der Vorsitzende des zweitgrößten Immobilienentwicklers Vanke Co, Yu Liang, dass der Zustand des Immobilienmarktes „schlimmer als erwartet“ ist und begrub seine Hoffnungen auf eine Erholung im zweiten Halbjahr. Goldman Sachs prognostizierte jüngst einen jahrelangen Abschwung, ausgelöst durch die Immobilienkrise.

Die Folge dieser beiden strukturellen Krisen ist eine Verarmung der chinesischen Mittelschicht innerhalb einer Generation.

Die Schuldenkrise: Provinzen de facto Bankrott

Die Kommunen in China finanzieren sich zum Großteil über Landverkäufe. Wenn jedoch keine neuen Wohnungen benötigt werden, brauchen auch die Immobilienentwickler kein neues Land. Ergo bricht der Landverkauf ein und damit die benötigten Einnahmen.

Dazu kommen noch „versteckte Schulden“, Schulden, die in speziellen Finanzvehikeln zur Förderung von Investitionen geparkt sind. Obwohl es keine offizielle Zahl gibt, schätzte der Internationale Währungsfonds (IMF) im Februar, dass Ende 2022 in China rund 66 Billionen Yuan (8,6 Billionen Euro) an solchen Schulden ausstanden, im Vergleich zu 40 Billionen Yuan (5,2 Billionen Euro) im Jahr 2019, was ungefähr der Hälfte des chinesischen Bruttoinlandsproduktes entspricht. Nur zum Teil sind in diesen Schulden noch die Verbindlichkeiten von staatseigenen Unternehmen (SOE) eingerechnet. Scheinbar geht die Zentralregierung nun zumindest teilweise dieses Problem an.

Drei Provinzen sind de facto bankrott, andere nähern sich diesem Zustand, wie auch zahlreiche Städte.

Xi Jinpings „Antikorruptionskampagne“

Wie jeder neue Parteivorsitzende startete Xi Jinping seine Amtszeit mit einer Säuberungskampagne in China. Das gehört gewissermaßen zur Folklore der kommunistischen Partei. Der Bevölkerung wird dies immer als „Antikorruptionskampagne“ verkauft, was durchaus begrüßt wird. Korruption fängt vor der Geburt an, wenn Eltern das Geschlecht ihres Kindes bestimmt haben wollen, und hört erst nach dem Tod auf, wenn die Urne auf einem bestimmten Friedhof beigesetzt werden soll.

Ziel der neuen Herrscher ist immer dasselbe: Konkurrenten und Widersacher ausschalten und den Beamtenapparat auf Linie bringen. Prominentestes Opfer war Bo Xilai, der damalige Parteisekretär von Chongqing. Normalerweise ebben diese Säuberungswellen nach einer gewissen Zeit ab. Nicht so unter Xi Jinping, dessen „Tiger- und Fliegenkampagne“ seit nunmehr zehn Jahren das Land beschäftigt. Allein im ersten Quartal dieses Jahres wurden 110.000 Beamte bestraft, was von einer einfachen Ermahnung bis zu lebenslanger Haft reichen kann.

Diese „Tiger- und Fliegenkampagne“ lähmt das Land. Denn jede Entscheidung, die ein Beamter fällt, kann prinzipiell als „Korruption“ ausgelegt werden. Also betätigen sich die Beamten mehr und mehr als Papierschubser, die bei einer anstehenden Entscheidung einen Bericht schreiben und diesen an ihren jeweiligen Vorgesetzten schicken. Damit werden Entscheidungen immer wieder vertagt, mit dem Ergebnis, dass Unternehmen auf Genehmigungen warten.

Der Handelskrieg und schwache Nachfrage aus den USA und Europa

Zu den strukturellen Problemen gesellen sich die aktuellen Herausforderungen: Der Handelskrieg mit den USA hemmt die Investitionen ausländischer Geldgeber und lässt Unternehmen abwandern. Der Chip-Bann der USA behindert massiv die Entwicklung von Anwendungen der künstlichen Intelligenz. Wobei hier wieder die Mechanismen der „Tiger- und Fliegenkampagne „- auch hier greifen: Chatbots, ähnlich wie ChatGPT, stehen in den Startlöchern, aber seit Monaten verweigern die Behörden die Zulassung.

Zudem belastet der Handelskrieg die schwache Nachfrage in den USA und Europa die chinesische Exportindustrie. Die Anzeichen mehren sich, dass die offiziellen Exportstatistiken geschönt sind. Der Drewry World Container Index sinkt seit Wochen, obwohl sich nun die Hochsaison nähert und eigentlich steigende Preise zu erwarten sind.

Der Yuan notiert mit der stärksten Notierung seit 3 Wochen – Rohstoffe zeigen Seitwärtsbewegung

Die schwachen Exporte haben den Yuan unter Druck gebracht. Immerhin scheint nach dem Wechsel des Notenbankchefs und verbaler Intervention der People’s Bank of China (PBOC) der Abwärtstrend gestoppt zu sein. Beim heutigen Fixing wurde der Wechselkurs auf 7,1527 gegenüber dem Dollar festgelegt, was die stärkste Notierung seit dem 19. Juni darstellt.

Die Rohstoffpreise zeigen ebenfalls keine Erholung im produzierenden Gewerbe. Sie verharren praktisch unverändert zur Vorwoche.

Konsumentenvertrauen in Shanghai steigt

Was gibt Hoffnung? Vielleicht eine Umfrage zum Konsumentenvertrauen in Shanghai der Shanghai University of Finance and Economics, die jedes Quartal durchgeführt wird. Demnach stieg der Index um 10,5 Punkte auf einen Wert von 122,3. Ein Wert über 100 signalisiert bei diesem Index wachsendes Vertrauen der Konsumenten. Auch die Einschätzung der generellen wirtschaftlichen Situation stieg auf 120,4 Punkte, eine Steigerung von 14,5 Punkten im Vergleich zum letzten Quartal.

Die Studie offenbart jedoch auch Problemzonen. Der Indexwert für das Investorenvertrauen – oder in diesem Fall eher Misstrauen – sank auf 98,5 Punkte. Ebenso zeigt die Studie, dass die mittlere Einkommensschicht in China sowohl Probleme beim Einkommen als auch in Bezug auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes sieht.

Dies sind zumindest teilweise gute Nachrichten – aber Shanghai ist nicht China..



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2 Kommentare

  1. Der aktuelle Konjunkturabschwung in der Europäische Union und in den Vereinigte Staaten, letztere und die Volksrepublik China sind die beiden weltweit größten Volkswirtschaften, wirkt sich natürlich auch auf die aktuelle wirtschaftliche Situation in China aus. Hinzu kommt die stümperhafte chinesische Außenwirtschaftspolitik der Bundesministerin des Auswärtigen Annalena Baerbock, die ankündigt, daß deutsche Unternehmen, die sich im hohen Maße vom chinesischen Markt abhängig machen, auch die entsprechenden Risiken tragen müssen, und somit keine staatlichen Bürgschaften mehr bekommen. Desweiteren verweist Bundesministerin Baerbock in Sachen Spionage speziell auf China hin, obwohl der Präsident des Bundesamtes für Verfassungschutz Thomas Haldenwang im Rahmen seiner Vorstellung des Verfassungschutzberichts 2022 im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin nochmals darauf verwies, daß seine Behörde im Rahmen eines globalen 360-Grad-Blicks gegen potentielle Wirtschaftsspionage agiere, und somit eben auch gegen China. Es hätte mich auch wirklich gewundert, wenn der jetzige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie die China-Strategie Baerbocks nicht unterstützen würde. Der anstehende BRICS-Gipfel im August d.J. sendet ja vielleicht auch ein Signal dahingehend, daß Republik Indien-Premierminister Narenda Modi sowohl Richtung China, als auch Richtung USA orientiert ist.

  2. MMT tut immer mehr weh,

    Bei der letzten Krise hat China mit immenser Verschuldung die Weltwirtschaft gerettet. Die MMT Sekte müsste nun endlich eingestehen, dass Verschuldung immer Auswirkungen hat und irgendwann die Retourkutsche kommt. Da gibt es noch die Unterscheidung von produktiver oder unproduktiver Verschuldung ( Investition oder Konsum ) Ganz schlimm ist natürlich Verschuldung für Konsum, aber auch Wohnungsbau im Überfluss wie in China ist schlecht. MMT Sektenführer Fratzscher wird natürlich an seinen TV Auftritten das Gegenteil behaupten, aber dies ist schon ein Grund des Übels im Wirtschaftsland De. Realisten wie Krall und Co. sind nie am TV zu hören.
    Darf man das Zensur nennen oder ist es einfach nur Zufall ?

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