Allgemein

EZB deutlich konservativer als der Markt EZB stellt die Weichen für eine Wende – Nagel offen für Lockerung

EZB stellt die Weichen für eine Wende - Nagel offen für Lockerung
EZB-Mitglied Joachim Nagel. Foto: Hollie Adams/Bloomberg

Die Diskussionen über eine Zinswende der großen Zentralbanken halten an. Während die Federal Reserve bereits offen über mögliche Zinssenkungen gesprochen hat, hielten sich die EZB-Mitglieder lange Zeit damit zurück. Doch die enttäuschende Wirtschaft in der Eurozone und die Abkühlung der Inflation machen einen Zinsschwenk der EZB immer wahrscheinlicher. Es gibt aber noch unterschiedliche Meinungen innerhalb der Europäischen Zentralbank. Beispielsweise sagte Ratsmitglied Robert Holzmann, dass die Risiken, die sich aus der andauernden Inflation ergeben, die EZB davon abhalten könnten, die Zinsen in diesem Jahr zu senken. Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat sich indessen einer wachsenden Gruppe von Kollegen im Rat der EZB angeschlossen, die eine Zinssenkung in diesem Sommer in Erwägung ziehen.

In einem Punkt scheinen sich die Ratsmitglieder aber einig zu sein: Im Gegensatz zum Markt, der mit sechs Zinssenkungen in diesem Jahr beginnend ab April rechnet, gehen die Währungshüter frühstens von einer Senkung im Sommer und von einem deutlich langsameren Tempo aus.

EZB stellt die Weichen für eine Zinswende

Wie Bloomberg berichtet, räumte Joachim Nagel erstmals seit Erreichen des mutmaßlichen Zinsgipfels im September ein, dass der Sommer ein geeigneter Zeitpunkt sein könnte, um zu erörtern, ob sich Wachstum und Inflation ausreichend abgeschwächt haben, um die Geldpolitik zu lockern.Auch wenn er betonte, dass das Thema im Moment noch verfrüht sei, deutet seine Übereinstimmung mit anderen EZB-Ratsmitgliedern darauf hin, dass sich innerhalb der EZB ein Konsens abzeichnet.

Aber es gibt Vorbehalte: Nagel wies auf die Lohnentwicklung als “große Unbekannte” hin, während der österreichische Erzfalke Robert Holzmann betonte, dass Senkungen im Jahr 2024 aufgrund geopolitischer Risiken, einschließlich der Spannungen im Nahen Osten, keineswegs garantiert seien.

Im Großen und Ganzen scheinen die Währungshüter jedoch die Weichen für eine Wende zu stellen. Der Portugiese Mario Centeno hat angedeutet, dass die EZB in den nächsten sechs Monaten handeln könnte, während der Grieche Yannis Stournaras und der Lette Martins Kazaks von Mitte des Jahres gesprochen haben.

Selbst diejenigen, die sich sträuben — wie Boris Vujcic aus Kroatien und Klaas Knot aus den Niederlanden — haben eine Zinssenkung in der ersten Jahreshälfte nur als unwahrscheinlich, nicht aber als unmöglich bezeichnet.

Zinsen könnten ab Sommer fallen

Ein Start im Sommer würde die EZB näher an die Prognosen der Ökonomen heranführen, die mit einer ersten von vier Zinssenkungen im Juni rechnen. Das ist eine weitaus weniger aggressive Sichtweise als die der Geldmarkthändler, die über Zinsswaps sechs Viertelpunkt-Schritte ab April einpreisen.

Zinsen: EZB-Nagel offen für Zinssenkungen, wenn Inflation weiter nachlässt

Falken wie Tauben im EZB-Rat “scheinen ihre Bemühungen zu verstärken, gegen die Zinssenkungserwartungen an den Finanzmärkten vorzugehen”, sagte David Powell, Senior European Economist bei Bloomberg Economics. “Dies bestärkt uns in unserer Ansicht, dass die erste Zinssenkung im Juni erfolgen wird, und wir erwarten, dass Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz nach der EZB-Sitzung im Januar eine ähnliche Botschaft vermitteln wird.”

Lagarde hat angekündigt, dass die Zinsen erst gesenkt werden, sobald die Notenbanker davon überzeugt sind, dass die Inflation wieder auf das 2%-Ziel zusteuert, was auch Nagel befürwortet. Im Juni kam die Inflationsrate mit 2,4% dem EZB-Ziel schon recht nahe, ehe der Preisdruck im Dezember wieder zunahm. Die meisten Mitglieder sind der Meinung, dass man auf die entscheidenden Daten zu den Löhnen warten muss, die wahrscheinlich erst im Mai vorliegen werden, sodass der Einlagensatz frühestens im Juni von derzeit 4% gesenkt werden könnte.

“Vielleicht können wir die Sommerpause abwarten oder was auch immer, aber ich möchte nicht spekulieren”, sagte Nagel. Die Währungshüter würden weiterhin auf Basis der eintreffenden Daten entscheiden, so Nagel. Und: “Ich denke, es ist zu früh, um über Zinssenkungen zu sprechen.”

Geduldig bleiben, bloß nicht zu früh lockern

Er warnte auch davor, zu früh zu lockern. “Dies war oft ein Fehler, der in der Vergangenheit gemacht wurde; ich möchte diesen Fehler nicht wiederholen”, sagte der Bundesbanker. “Die Inflation ist ein gieriges Biest.”

Chefvolkswirt Philip Lane äußerte sich am Wochenende ähnlich und sagte, dass die EZB eine Senkung der Zinsen in nächster Zeit nicht in Erwägung ziehen werde und dass eine zu schnelle Anpassung “selbstzerstörerisch” sein könne.

Sowohl Nagel als auch Holzmann nannten die Geopolitik als ein Hauptrisiko, das ihre Ansichten ändern könnte.

“Die geopolitische Bedrohung hat zugenommen, weil das, was wir bisher von den Huthis gesehen haben — ich denke, es ist nicht das Ende, es könnte die Ouvertüre zu etwas viel Umfassenderem sein, was sich auf den Suezkanal auswirken und die Preise dort erhöhen wird”, sagte Holzmann in einem Bloomberg-Interview. “Wir sollten überhaupt nicht auf eine Zinssenkung im Jahr 2024 setzen.”

Sobald die EZB einen Termin für die Lockerung festlege, werde dies sofort eine Dynamik auslösen, die sie nicht kontrollieren könne, prognostizierte er. “Und mit all dem Wissen, das wir derzeit haben, wäre es nicht ehrlich, das zu tun, weil wir nicht wissen, wie sich die Inflation entwickeln wird”, so der OeNB-Chef.

Auf der EZB-Sitzung in der nächsten Woche werden die Zinsen wahrscheinlich unverändert bleiben, da die Ratsmitglieder noch längst nicht bereit sind, den Sieg über die Inflation zu verkünden.

Vizepräsident Luis de Guindos geht davon aus, dass der Rückgang des Verbraucherpreiswachstums in diesem Jahr weniger ausgeprägt sein wird. Die Inflation hat sich im vergangenen Monat gegenüber dem Vorjahr auf 2,9% beschleunigt. Ein monatlich erscheinender Bericht über die Verbrauchererwartungen steht am Dienstag an.

FMW/Bloomberg



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage