Hintergrund

Müde Wohlstandskinder auf der Insel der Glückseligen

Gestern titelte Spiegel Online: „Deutsches Wirtschaftswachstum verdoppelt sich“, die Bild-Zeitung feierte das Allzeithoch beim Dax, mit einem Wort: es geht uns doch gut, oder? Wir sollten zufrieden sein, so der Subtext, zumal es – wie gestern die Zahlen zum BIP aus Ländern wie Italien, Griechenland und Portugal einmal mehr klar gemacht haben – in Deutschland (+0,8%) doch gut geht. Wir leben auf einer Insel in Europa, und diese Insel heißt Wohlstand und Wachstum.

Das ist natürlich nicht falsch, wenngleich von den +0,8% Wachstum knapp die Hälfte dem Bausektor aufgrund des extrem milden Winters zuzuschreiben ist – und dies sich dann später negativ auswirken wird (es entfallen die Nachholeffekte, wie zum Beispiel im letzten Jahr nach dem strengen Winter).

Und dennoch: die Deutschen sind müde, ein bisschen selbstzufrieden und gleichgültig derzeit. Das Leben ist doch anstrengend genug, uns geht es gut, außerdem müssen wir uns ständig selbst optimieren, um den Anforderungen des ständigen Lernens in der globalisierten Welt gerecht zu werden. Was interessiert da die Europawahl (bei der faktisch ohnehin nichts zu entscheiden ist), und die Ukraine geht uns auch am Allerwertesten vorbei. Klaglos ertrug man zu Beginn des Konflikts die Propaganda der staatlich finanzierten Medien (inzwischen fällt die Berichterstattung etwas differenzierter aus).

Es ist diese Gleichgültigkeit, die Angela Merkel ihre Wahlsiege beschert. Weiter so, die kühle Mutti wird es schon richten – dieses Muster wird wohl auch bei der Europa-Wahl funktionieren.

Aber es ziehen dunkle Wolken auf. China wird eine harte Landung absolvieren und damit den entscheidenden Faktor für Deutschlands Erfolg, den Export, in sein Gegenteil verkehren: Deutschland wird absteigen. Zumal nun auch der Mainstream zu begreifen beginnt, dass das erhoffte Wachstum in den Problemländern der Eurozone nicht stattfinden wird.

Was einige schon begreifen, aber noch nicht allgemein ins Bewusstsein eingedrungen ist: Wachstum findet in westlichen Gesellschaften mit ihrer Bevölkerungspyramide ohnehin nicht mehr statt, die Löhne steigen nicht wirklich (Konkurrenz durch Maschinen und billige Arbeitnehmer andernorts). Das einzige, was derzeit noch diese Scheinblüte beschert, ist die Politik der Notenbanken. Aber die sind bereits am Ende ihres Lateins.

Symptomatisch für die Müdigkeit und Phantasielosigkeit unserer Gesellschaft ist die Generation der 30-jährigen. Was sind ihre Höchstwerte? Ein fester Job, heiraten, Haus bauen. Hauptsache Sicherheit, weil alles andere ja so unsicher ist. Das war zu meiner (Jugend-)Zeit noch anders: wir erlebten die digitale Revolution hautnah, waren geprägt vom Kalten Krieg und erlebten dessen Ende. Alles schien uns möglich, wir wollten einfach nur leben und erleben. Aus diesem Impuls stammte dann der Aufbruch der New Economy um die Jahrtausendwende – wir sind dann später das Opfer ihres Scheiterns geworden.

Aber die Suche der Generation 30 nach Sicherheit heißt auch: Hauptsache in sicheren Händen, kein Risiko gehen, es gemütlich haben. Da wächst nicht gerade eine Generation von Unternehmern heran, zumal diese in Deutschland ohnehin kaum Chancen haben: es gibt in diesem Land keine Kultur des konstruktiven Scheiterns, anders als etwa in den USA. Da geht man doch lieber in einen großen Konzern, dort ist es gemütlich und (vermeintlich) sicher. Wer schon einmal selbständig war, weiß was das bedeutet in diesem Land: alleine der Umgang des Finanzamts mit Selbständigen hat schon den Charakter einer Treibjagd!

Und so sitzen wir müde auf der Insel der wirtschaftlich Glückseligen – und warten. Warten bis, bildhaft gesprochen, das Eis an Nordpol und Südpol schmilzt und unsere Insel überschwemmen wird. Die Generation 30 spürt instinktiv, dass unsere Insel überschwemmt werden wird. Da bleibt einfach wenig Raum für Risiko – wenn man ahnt, dass man sich am Besten in Sicherheit bringen sollte..



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