Gas

Energiekrise Welche Optionen Deutschland im Poker um Gas aus Russland hat

Welche Optionen hat Deutschland im Poker um Gas aus Russland? Mehr als man annehmen würde. Hier dazu eine Analyse.

Wladimir Putin

Seit dem Herunterfahren der Lieferungen von Gas aus Russland über die Gasleitung Nord Stream 1 gilt in Deutschland die zweite Stufe des Notfallplans Gas. Im Gefolge dessen häufen sich Berichte über eine Energiekrise und drohende Probleme im Land wegen horrender Gas- und Strompreise, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Karten zu spielen scheinen. Doch seine Stärke, den Gashahn nach Belieben zu- und aufdrehen zu können, ist zugleich seine größte Schwäche. Auch Deutschland verfügt im Schein unglücklicher Diplomatie über mehr Optionen, als es auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Putin setzt bei Nord Stream 1 auf Turbinenmanöver

Das Aus für das Gasleitungsprojekt Nord Stream 2 schmerzt so sehr, dass sich der Kremlherrscher bemüßigt sieht, dieses Turbinenmanöver veranstalten zu lassen. Die 34 Milliarden Euro Kosten zur Erschließung des Gasförderzentrums auf der Halbinsel Jamal inklusive Auf- und Ausbau der nachgelagerten Infrastruktur zum Abtransport über die Ostsee wiegen schwer. Die Finanzierung zum Bau von Nord Stream 2 umfasste im Vergleich dazu lediglich 9,5 Milliarden Euro, wovon der der russische Gaskonzern Gazprom die Hälfte stemmte.

Sollte Gazprom Lieferungen über die Ostsee komplett einstellen, ist das ein Vertragsbruch erster Güte, der die fünf Mitfinanzierer von Nord Stream 2, darunter Uniper und Wintershall, von ihren Zusagen endgültig entbindet. Den Leitungsabschnitt von Nord Stream 2 in deutschen Hoheitsgewässern für den Import von verflüssigtem Erdgas LNG zu nutzen, steht dann nichts mehr im Wege. Verluste der europäischen Finanzierer ließen sich auch auffangen. Dieses Szenario wirkt zunächst befremdlich. Nahezu unscheinbar ist aber eine Konsequenz, die Russland mit seinem Handeln heraufbeschwört. Den endgültigen Cut hat Putin bisher nicht beschlossen, und spielt stattdessen Katz und Maus mit Europa und dem Kunden Nummer 1 Deutschland.

Der weite Weg nach China

Wie die Ukraine einst nahm Deutschland im Jahr rund 50 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr ab. Der Weg von der Jamalhalbinsel nach China führt mehrere Tausend Kilometer durchs Land und über die Mongolei nach China. Auch wenn der Transport über die bestehende Gasleitung Kraft Sibiriens stetig wächst und Gazprom Lieferrekorde verkündet, kann das nicht über die bestehende Transportkapazität von 38 Milliarden Kubikmeter im Jahr hinwegtäuschen. Dazu machen die Gasmengen der ostsibirischen Vorkommen, von denen das Gas nach China exportiert wird, nur einen Bruchteil von dem aus, was in Nord- und Westsibirien lagert. Will Russland alles Gas statt nach Europa nach China liefern, liegt dazwischen die Bauzeit der nötigen Infrastruktur.

LNG-Import mit Nord Stream 2

Im Gegenzug benötigt Deutschland Zeit, um sich vom Gas aus Russland abzukoppeln. „Gemeinsam mit kurzfristigen Anstrengungen von Unternehmen und Privathaushalten zur Reduktion des Gaseinsatzes durch Energieeffizienz, Energieeinsparung und Elektrifizierung kann bis Ende des Jahres 2022 der Anteil russischer Gaslieferung am Gasverbrauch so auf etwa 30% gesenkt werden. Die Unabhängigkeit von russischem Gas kann in einem gemeinsamen Kraftakt bis Sommer 2024 weitgehend erreicht werden. Dies setzt zwingend Diversifizierung, Einsparungen, den schnelleren Hochlauf von Wasserstoff sowie den massiven Ausbau der Erneuerbaren voraus“, steht dazu im Drittem Fortschrittsbericht Energiesicherheit.

Die Bundesregierung arbeite mit den betroffenen Bundesländern daran, bereits in den Jahren 2022 und 2023 zusätzlich mehrere schwimmende LNG-Terminals (Floating Storage and Regasification Units, FSRU) in Deutschland in Betrieb zu nehmen. Das erfordere von allen Beteiligten enormen Einsatz, um die technischen Voraussetzungen zu schaffen wie etwa beim Bau der Anschluss-Pipelines. Um Gaslieferungen aus Russland zu ersetzen, sichere die Bundesregierung den LNG-Gaseinkauf und Gasweiterverkauf über die Niederlande von bis zu einer Milliarde Kubikmeter bereits 2022 kurzfristig ab. Mit der Anmietung von insgesamt vier schwimmenden LNG Terminals (FSRU) könnten schrittweise mindestens 20 Milliarden Kubikmeter Gas angelandet werden.

In Lubmin soll bis Ende 2022 ein fünftes FSRU-Terminal durch ein privates Konsortium entstehen, das im Jahr 4,5 Milliarden Kubikmeter Gas ins Fernleitungsnetz Kubikmeter Gas einspeisen kann. In der zweiten Phase könnte sich das Volumen verdreifachen, wenn eine bestehende Unterwasserpipeline mit einbezogen wird, stellte die Deutsche Regas zum Projekt zusammen mit Total Energies in Aussicht. Ohne Nord Stream 2 ausdrücklich zu erwähnen, ist klar, dass es sich um diese Unterwasserpipeline handelt.

Lesen Sie auch

Nerven liegen blank

Die Geschichte über die Turbinenauslieferung vom Siemens-Werk in Kanada zieht unterdessen Kreise. Lässt Putin in der letzten Ansage an Europa im Iran, Raum für Spekulationen, wie viel Turbinen Gas durchpumpen könnten, und mahnt technische Papiere zum Zustand der erwarteten reparierten Turbine an, lässt sich Russland Medien zufolge bei der Einfuhr von Deutschland jetzt offensichtlich Zeit. Das spricht für die Absicht, mit Hilfe von Turbinenproblemen die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu erzwingen. Auch wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dem eine Absage erteilte, hatte zuvor seine Parteikollegin von den Grünen und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in den Verhandlungen zur Auslieferung der besagten Turbine aus Kanada deutlich gemacht, wie blank die Nerven liegen.

„Die Kanadier haben gesagt, ‚wir haben viele Fragen‘, da haben wir gesagt, das können wir verstehen, aber wenn wir die Gasturbine nicht bekommen, dann bekommen wir kein Gas mehr, und dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind“, sagte die Außenministerin bei ihrem Besuch beim RedaktionsNetzwerk Deutschland am 20. Juli. Auf Nachfrage milderte sie etwas ab, sprach von Unruhen und sagte: „Das ist ja genau mein Punkt, dass wir Gas aus Russland weiter brauchen.“ Für Präsident Putin sind Baerbocks Worte die Bestätigung, auf die richtige Zahl im Roulette gesetzt zu haben. In russischen Medien erhielt Baerbock viel Beachtung. Die LNG-Option mit Nord Stream 2 ist indes seit Ende Juni, als das Gerücht im Spiegel aufkam, kein Thema. Die Rufe, Nord Stream 2 doch noch in Betrieb zu nehmen, sind aus Russland dagegen lauter geworden.



Kommentare lesen und schreiben, hier klicken

Lesen Sie auch

9 Kommentare

  1. Die Aussagen von Frau Baerbock sprechen Bände. Sie interessiert sich einen Sch… für
    das Volk. Einfach nur schockierend was hier für Leute an der Macht sind.

  2. Hallo Frau Bollinger-Kanne, interessanter Artikel! Haben sie Zusatzinformationen, was der ganze Ausbau von LNG Terminals kostet (Mehrbelastung der Verbraucher – Preisanstieg pro KWh)?
    Wie sieht die Situation rechtlich aus (Internationales Recht), wenn die BRD das Nord Stream 2 Leitungsnetz fremdverwendet (Nicht mehr für NS2 gemäß Vertrag, sondern für LNG)?

  3. Wenn man schon Angst vor „Aufstaenden“
    (kritische Fakebook Kommentare, oder was?) in „Deutschland“ hat,
    und oeffentlich thematisiert, ist man sich wohl doch schon irgendwie bewusst,
    dass man einfach nur unfaehig ist, und „Scheisse“ baut (der „Arsch“ auf Grundeis).
    Versagensaengste, oder einfach nur Angst um Ideologie, Macht und Privelegien?
    Unseren „jungen“ neuen Polit-Helden fehlt da einfach noch die „professionelle“ Abgebruehtheit!
    Was dieses Ideologie-, Arrogant- moralisierende Disaster nicht unbedingt harmloser macht.

    „Lummerland ist abgebrannt“.

    Deshalb muss man, ganz „Solidarisch“ und Selbstlos, dafuer sorgen,
    dass der „Dumm-Michel“ nicht doch noch wach wird!

    Zur „allgemeinen“ (eigentlich der eigenen) Sicherheit, beraet man schon jetzt im Vorfeld,
    die entsprechenden Massnahmen, um dem eventuell Moeglichen,
    praeventiv, fuer alle Zukunft Einhalt zu gebieten.
    Immerhin geht es um das „beste Deutschland“, das wir je hatten.
    Damit es noch besser (!) wird, muss es jetzt „transformiert“ werden.

  4. Hätte da eine Frage! Wie will man physisch LNG von Rotterdam nach Lubmin transportieren? Um Dänemark herum? Die farbige Bilanz wäre dann, im Bereich dunkelgrau bis pechschwarz. Ist das die Bestrafung „B.90 d Grünen“ für deren Ideologie, seitens der Industrie? „Nie wieder ein Krieg im Europa!“ => Joschka Fischer ist für ein Militäreinsatz der Bundeswehr gegen Jugoslawien. „Nur noch die grüne Energie in Deutschland ist gut genug!“ => Die Grünen verlängern die Laufzeit der Atom-, Kohlekraftwerken und sind dabei Fracking-Gas Förderung zu genehmigen. Für mich sieht es nach einer Demütigung „B90 d.grünen“! Welches Tabubruch werden „die Grüne“ noch begehen?

  5. Ideologische Abbruch GmbH

    Die Generation, die DE nach dem Krieg mit viel Schweiss und Entbehrungen aufgebaut hat,, müsste durchdrehen, wenn sie sieht wie die in der Komfortzone aufgewachsene Warmduscher Gesellschaft alles in kurzer Zeit demoliert.
    Warum gibt es nicht mehr Helmuts denen dieses Treiben wehtut?

    1. Die Nachkriegsgeneration würde auch durchdrehen, wenn sie miterleben müsste, wie sich eine Fraktion von Rechtspopulisten dem Kriegstreiber und -verbrecher Putin anbiedert. Diese Generation war auf Rechtsnationalisten und Russen nämlich nicht allzu gut zu sprechen.

  6. Wie war das jetzt, die Nachkriegsgeneration war auf die Russen nicht gut zu sprechen weil Russland die Vorkriegsgeneratiion gestoppt hat?

    1. Muss eher daran gelegen haben, dass die Russen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren selbst nicht mehr zu stoppen waren und sich mal locker mindestens 20 Staaten einverleibt haben. Ob Stalin so viel „besser“ war als Hitler, sei einmal dahingestellt. Auf alle Fälle war er bei der deutschen Nachkriegsgeneration nicht sonderlich beliebt, wie auch seine Nachfolger. Von einer derart leichtgläubigen und devoten Fangemeinde, wie Putin sie derzeit in Deutschland genießt, konnte zu der Zeit nicht im Ansatz die Rede sein.

      Ganz im Gegenteil, die Kommunisten per se galten als der personifizierte Satan. Wer einem Buch von Marx oder Lenin nicht mit Kneifzange und angewidertem Gesichtsausdruck begegnete, stand mindestens gesellschaftlich unter Beobachtung. Mir ist aus der Nachkriegsgeneration keine laute und omnipräsente Strömung bekannt, die sich einem KGB- und Stasimitglied sowie Verbindungsmann zur Unterstützung der Terrorgruppe RAF derart angebiedert hat, wie es heute zu beobachten ist.

      1. Gut gekontert und erklärt 👍

Hinterlassen Sie eine Antwort

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert




ACHTUNG: Wenn Sie den Kommentar abschicken stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zur Verwendung der Kommentarfunktion zu.
Weitere Information finden Sie in unserer Zur Datenschutzerklärung

Meist gelesen 7 Tage