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Westlichen Sanktionen sorgen für Druck Russland auf riskantem Kurs: Verzweifelte LNG-Transporte durch die Arktis

Schiffe fahren ohne Eisbrecher

Russland Sanktionen LNG Arktis
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Um seine Flüssiggasproduktion trotz internationaler Sanktionen aufrechtzuerhalten, geht Russland immer größere Risiken ein: LNG-Tanker navigieren auf gefährlichen Routen durch die Arktis, oft ohne die schützende Begleitung von Eisbrechern. Die aktuelle Lage zeigt, wie sehr die westlichen Sanktionen den russischen Energiesektor unter Druck setzen – und zu verzweifelten Maßnahmen zwingen.

Russland: Everest Energy und die gefährliche Mission durch die Nordostpassage

Mitten in den eisigen Gewässern der russischen Arktis bahnt sich die Everest Energy, ein LNG-Tanker seinen Weg nach Osten. Der Tanker, beladen mit 138.000 Kubikmeter Flüssiggas, ist auf einer Reise, die von Experten als eine „Titanic“-Mission beschrieben wird. Ohne die Unterstützung von Eisbrechern hat das Schiff Kurs durch den Nördlichen Seeweg (NSR), besser bekannt als die Nordostpassage genommen. Die Reise ist „potenziell sehr gefährlich“, da selbst im Sommer „Treibeisblöcke sehr fest sein können, selbst hinter dem Kielwasser eines begleitenden Eisbrechers“, sagte Kjell Eikland, Direktor der in Oslo ansässigen Geheimdienst- und Beratungsfirma Eikland Energy.

In den Augen von Tom Marzec-Manser, Leiter der Gasanalytik bei der Beratungsfirma Icis, ist es ein Manöver reiner Verzweiflung, entweder nach China oder zu einer anderen zur anderen großen schwimmenden Lagereinheit in Kamtschatka.

Russland: Schattenflotte im Visier internationaler Sanktionen

Die schwimmenden Lagereinheiten (Floating Storage Units, FSU) sind für Russland die Zwischenlösung für ein drängendes Dilemma: Die jüngsten amerikanischen und europäischen Sanktionspakete zielten verstärkt auf die russische Schattenflotte – eine Flotte von inoffiziellen, oft nicht versicherten Schiffen, die in exotischen Ländern wie Palau registriert sind. Diese Schiffe transportieren russisches Gas und Öl auf verschlungenen Routen, oft mit automatisches Identifikationssystem (AIS, Dark Sailing) oder Transpondern, die den genauen Aufenthaltsort verschleiern (Spoofing), um Sanktionen zu umgehen und weiterhin Zugang zu den globalen Märkten zu haben. Palau, eines der Länder, unter deren Flagge viele Schiffe der russischen Schattenflotte fahren, hat unter dem Druck internationaler Sanktionen gehandelt. Nachdem den Verantwortlichen in Palau Sanktionen angedroht wurden, hat das Land die Registrierung zahlreicher russischer Schiffe gestrichen.

Russland Dunkel-Flotte

Die Entscheidung Palaus, unter dem Druck internationaler Sanktionen zahlreiche russische Schiffe aus seinen Registern zu streichen, traf die russische Schattenflotte empfindlich. Doch anstatt sich dadurch stoppen zu lassen, reagierte Russland mit einer Mischung aus kurzfristigen Notlösungen und neuen, langfristigen Taktiken. Nach Angaben der britischen Regierung hat Russland etwa acht Milliarden US-Dollar in den Aufbau und die Erhaltung dieser Schattenflotte investiert.

Zunächst wurden viele der betroffenen Schiffe ohne gültige Flagge zurück in russische Gewässer beordert. Ohne internationale Registrierung sind diese Schiffe rechtlich gesehen Geisterschiffe, die auf internationalen Handelsrouten weder versichert noch geschützt sind. Doch Russland fand schnell neue Wege, die Schiffe trotz der Sanktionen weiter zu nutzen. Ein wesentlicher Teil der Strategie besteht darin, diese Tanker in russischen Hoheitsgewässern zu halten und dort Schiff-zu-Schiff-Transfers (STS) durchzuführen. In diesen Manövern wird LNG oder Rohöl von einem Tanker auf einen anderen umgeladen, oft in abgelegenen und schwer zugänglichen Gebieten, wie der Kildin-Straße an der Kola-Halbinsel, um die internationale Überwachung zu erschweren. Durch diese Transfers wird die Herkunft der Ladung verschleiert, da das Öl oder Gas von einem sanktionierten Schiff auf ein nicht sanktioniertes Schiff umgeladen wird, was die Rückverfolgung erschwert.

Doch trotzdem findet Russland immer schwieriger neue Kunden für sein Gas. Die westlichen Sanktionen haben nicht nur den Transport erschwert, sondern auch den Markt für russisches LNG drastisch eingeschränkt. Besonders das Arctic LNG 2-Projekt, das in der russischen Arktis riesige Mengen an Flüssiggas produziert, steht vor einem ernsthaften Problem: Die Käufer bleiben aus. Während die Produktion weiterläuft, fehlt es Russland zunehmend an Abnehmern, die bereit sind, das sanktionierte Gas zu kaufen.

Im letzten Monat nahmen die Einkünfte Russlands aus dem Verkauf fossiler Energieträger um 8% ab auf 636 Million Euro pro Tag, was den fünften monatlichen Rückgang im Monat ausmacht. Seit Russlands Einmarsch in die Ukraine muss Russland nunmehr auf Grund der Sanktionen auf 39% seiner Einnahmen verzichten.

Russland Einnahmen fossile

Um dieses Problem zu lösen, setzt Russland verstärkt auf die Nutzung von Floating Storage Units (FSUs). Diese riesigen Lagerungsschiffe dienen als temporäre Zwischenlösung, um das überschüssige LNG zu speichern, bis neue Käufer gefunden werden. Zwei dieser FSUs spielen dabei eine zentrale Rolle: Eine liegt vor der Küste von Murmansk, die andere befindet sich in der Region Kamtschatka, nahe dem asiatischen Markt.

Hohe Risiken: Russische LNG-Tanker auf gefährlicher Fahrt

Die Reise der Everest Energy zeigt eindrucksvoll, wie groß die Verzweiflung Russlands inzwischen ist. Denn um die Produktion von Arctic LNG 2 aufrechtzuerhalten, ist das Land bereit, extreme Risiken einzugehen – Risiken, die es vor dem Angriff auf die Ukraine noch kategorisch ausgeschlossen hätte. Denn auch die Everest Energy fährt weiter, obwohl ihre Registrierung in Palau aufgehoben wurde.

Bis zur Eskalation des Krieges in der Ukraine und den darauffolgenden Sanktionen war es gesetzlich vorgeschrieben, dass LNG-Transporte durch den NSR nur in Begleitung von Eisbrechern stattfinden durften – selbst im Sommer, wenn das Treibeis weniger dicht ist.
Nun aber kreuzen in der NSR veraltete, unsichere Schiffe mit oft undurchsichtigen Versicherungen. Diese riskanten Fahrten sind nicht nur eine Notlösung, sie gleichen einem Glücksspiel: Ohne die schützende Begleitung von Eisbrechern wagen sich diese Tanker durch die tückischen Gewässer. Ein wahres russisches Roulette.



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1 Kommentar

  1. Naja, es gehen einige Schiffe pro Jahr verloren, wahrscheinlich auch auf der Nordmeer-Route.
    Ich bin aber sicher, dass dann alle Regierungsmedien darüber berichten werden.

    …Im Jahr 2021 wurden weltweit 54 Totalverluste von Schiffen gemeldet, verglichen mit 65 im Jahr zuvor…

    https://commercial.allianz.com/news-and-insights/news/safety-shipping-review-2022-de.html#:~:text=Im%20Jahr%202021%20wurden%20weltweit,als%20200%20Schiffe%20verloren%20gingen.

    Was mich wundert:
    …Durch diese Transfers wird die Herkunft der Ladung verschleiert, da das Öl oder Gas von einem sanktionierten Schiff auf ein nicht sanktioniertes Schiff umgeladen wird, was die Rückverfolgung erschwert…

    Gleichzeitig weiß man aber:
    …Im letzten Monat nahmen die Einkünfte Russlands aus dem Verkauf fossiler Energieträger um 8% ab…

    Zumal China und Russland über ein eigenes Zahlungssystem abrechnen können.

    …China etabliert sein eigenes System neben SWIFT – Russland-Sanktionen beflügeln Chinas Zahlungssystem…

    https://www.fuchsbriefe.de/china-etabliert-sein-eigenes-system-neben-swift

    Natürlich behindert es Russland aber zumindestens.
    Und deshalb lassen wir uns einmal überraschen, was die BRICS uns im Oktober mitteilen werden.

    Viele Grüße aus Andalusien Helmut

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