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Tech-Aktien nach Zahlen: Sell on Good News, oder doch noch nicht?

Es wäre geradezu börsentypisch. Sehr häufig laufen Börsenkurse der Realwirtschaft voraus und wenn sich nach Monaten das Ergebnis bestätigt, wird das zu Gewinnmitnahmen genutzt. Sehr zur Verwirrung vieler, die fundamental und in Kausalitäten denken. Außer bei der Bekanntgabe der Zahlen werden glaubhaft neue Zukunftshoffnungen geweckt. Dann findet oft blitzartig eine Neubewertung statt und es geht weiter nach oben. Die Zahlen der großen Vier (Apple, Amazon, Alphabet, Facebook) am gestrigen Abend haben selbst Optimisten überrascht (hier aktuelle Meinungen dazu von Jochen Stanzl und Markus Koch). Die Tech-Aktien stiegen nachbörslich weiter an!

Tech-Aktien: Das Prinzip Hoffnung und die Börse

Bevor ich auf ein mögliches Szenario nach den Quartalszahlen der vier großen Nasdaq-Werte eingehe, noch ein paar Worte zum Thema Hoffnung oder Erwartung an der Börse. Vereinzelt wurde über Sinn und Unsinn täglicher Hoffnungs-Rallys diskutiert.

Ja was ist denn Börse sonst? Man kauft Wertpapiere doch in Erwartung, dass sie in Zukunft, ob in Minuten beim Kurzzeit-Trader, beim Spekulanten in Tagen oder Wochen oder beim Langzeitanleger in Jahren, höher stehen. (Ausnahme die Put-Spekulation oder Leerverkäufe). Niemand kauft Gold, weil es 2018 oder 2019 gestiegen ist, sondern weil er erwartet, dass es 2020 ff weiter steigt oder aus Absicherungsgründen nicht so fällt wie andere Assets. Natürlich gibt es ständige Nachrichten, Gerüchte und heiße Spekulationen über die ganz kleinen oder ganz großen Tech-Aktien, ob Amazon, Apple, Tesla, Nikola, oder aktuell Impfstoffhoffnungen wie Moderna oder auch Gilead, weil man das große Geschäft erwartet. Das gab es schon immer, problematisch wird es nur, wenn nach längeren Hausse-Phasen das Geldverdienen leicht erscheint, für Jedermann. Wenn die Gier Einzug hält.

Gier frisst Hirn

Dieser abgedroschene Börsenspruch hat mehr Substanz als viele finanzwissenschaftliche Modethemen. Denn Börsengewinne sprechen sich herum („Es ist schwer einen Freund reich werden zu sehen.“ – kurz FOMO) und führen dazu, dass der Einsatz erhöht wird. Inanspruchnahme von Wertpapierkrediten, Einsatz von Derivaten mit immer größeren Hebeln, das Unterlassen von Absicherungen (Put/Call-Ratio) und einiges mehr. Das Ergebnis sind Fahnenstangen-Charts, die immer zur Korrektur führen müssen, die Frage ist nur wann und welcher und oft läppische Anlass zum Einbruch führt.

Angst essen Seele auf

Auf der anderen Seite gibt es die Ausverkäufe, die fast immer nach Phasen dieser Euphorie auftreten und bei denen man nie weiß, wie stark sie ausfallen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Gehebelte und beliehene Depots müssen abgebaut werden, die Verluste werden nichtlinear hoch und es müssen viele gute Assets verkauft werden, um die „Margin Calls“ – Nachschussforderungen – zu erfüllen. Dafür müssen manchmal auch Depot-Stabilisierer wie Gold verkauft werden (siehe März 2020). Diese Übertreibung sorgt dann auch für Frust bei Normalinvestoren, die den Sturz in die Tiefe nicht ertragen können.

„Kann der DAX auf 0 fallen?“, so lautete eine Frage an mich, von einem guten Freund im Februar 2003, als die Talfahrt des deutschen Leitindex von 8040 Punkten schon bei 2500 angekommen war. Das Tief kam dann sogar erst am 6. März mit 2200 Punkten. Ist zwar im Extremfall möglich, aber dann wäre die Geldanlage vermutlich unser geringstes Problem, wenn die Bewertung von Banken und Versicherungen, Industrie- und Immobilienwerten gleichzeitig auf null fiele.

Dann würde es allenfalls noch den Barter-Handel geben, Tauschgeschäfte – Ziege gegen Kartoffeln u.ä.

Das Panikszenario ist an der Börse das Gegenstück zur Euphorie, nämlich die Erwartung, dass ich alles oder zumindest meine Gewinne verlieren könnte.

Tech-Aktien: Buy the Fantasy, sell the Facts

Dies könnte das Motto der nächsten Tage und vielleicht auch Wochen werden, wenn Investoren ihre Gewinne bei den Highflyern des Corona-Halbjahres mitnehmen und gleichzeitig die Spekulanten ihre mit Calls und Krediten aufgepeppte Depots bereinigen müssen. Die Firmeninsider – sprich die Bosse der Unternehmen – machen dies bereits seit geraumer Zeit. Auch hatte in der letzten Woche die Meldung der Schweizer UBS die Runde gemacht, dass Milliardäre, die im März große und vor allem billige Kredite aufgenommen hatten, um Aktien zu kaufen, diese nun wieder verkauften, um von den Gewinnen andere Assets wie Immobilien oder Gold zu erwerben. Und die Kursgewinne waren seit dem Tief am 23. März opulent ausgefallen, bei den Indizes (bis 50 Prozent) und erst recht bei den großen Titeln, die erst gestern berichtet haben (Börsenschluss 30.7. – in Euro gerechnet):

Amazon plus 45 Prozent

Alphabet plus 44 Prozent

Apple plus 54 Prozent

Facebook plus 44 Prozent

Microsoft, der Softwaregigant, der schon am 22. Juli seine Quartalszahlen bekannt gegeben hat, war vom Coronatief schon über 50 Prozent gestiegen, verliert aber seit dem 13. Juli und auch nach seinem guten Quartalsergebnis sukzessive – Sell on good News?

So weit so gut, jetzt haben die großen Vier am gestrigen Tag geliefert und sie haben sogar „overdelivered“, wie es die US-Analysten im ersten Überschwang bezeichneten. Claudio Kummerfeld hat die Zahlen der Tech-Aktien bereits gestern dargestellt (hier Amazon und Apple) und die ersten außerbörslichen Reaktionen: Sie fielen überraschend positiv aus und das erste Kursplus war von +1,5 bis plus 8 Prozent gewaltig, vor allem nach der Vier-Monatsrally.

Das wird heute ein spannendes Monatsultimo, vor allem wenn der Handel in Übersee eröffnet. Wie viele Anleger haben sich vorher abgesichert oder sind zunächst ausgestiegen? Oder beginnen, nach einer kurzen Eindeckungsphase, auch von Leerverkäufern die Gewinnmitnahmen?

Bei einem Vergleich der großen GAFAM-Titel ist mir aufgefallen, dass sie weniger performt haben, als der Nasdaq 100 (plus 57 Prozent) und dass man bereits seit Mitte Juli Gewinne eingestrichen hat. Hatte der Markt schon ein bisschen vorweggenommen?

Fazit

Was also wird jetzt nach dem Monatsultimo und dem Auslaufen der US-Berichtssaison, insbesondere bei den Tech-Aktien, kommen? Wenn man sich die Fakten ansieht, die für eine unmittelbare Korrektur der Märkte sprechen (Coronazahlen, Wirtschafts- und Arbeitslosendaten) und jene für einen weiteren Anstieg, so müsste man eigentlich aus rationaler Sicht sofort daran gehen, Gewinne einzustreichen, sofern welche vorhanden sind. So einfach ist Börse natürlich nicht, denn es gibt immer die Gegenseite. Big Points, wie den Anlagenotstand und die unerschütterliche Hoffnung vieler Anleger auf eine sich weiter erholende Konjunktur und auf Geldspritzen der Notenbanken, die schon über 10 Billionen Dollar weltweit ins System gepumpt haben. Hat denn Fed-Chef Jerome Powell vorgestern nicht ein weiteres Mal sein „Whatever it Takes“ bezüglich der Unterstützung der Märkte verkündet und sind nicht bereits schon wieder Anleihen im Wert von 15,5 Billionen Dollar negativverzinst?

Bei allem Für und Wider, es riecht nach Korrektur, weil das Big Money es vormacht und den „RobinHoodern“ die 600-Dollar-Schecks ausgehen, um es einmal mit einem platten Spruch darzustellen. 15 Milliarden Dollar pro Woche. Die gestrigen börslichen Marktreaktionen schienen schon so etwas wie eine Vorwegnahne des Prinzips „Sell on….! gewesen zu sein, welches nun auch schon jeder kennt. Aber das nachbörsliche Feuerwerk bei den Tech-Aktien könnte noch einmal zu einer Neubewertung (Reappraisal) führen – für wie lange?

Das Apple Ufo - Symbol für die Stärke der Tech-Aktien im Silicon Valley
Die neue Apple-Zentrale im Silicon Valley wird auch das Ufo genannt. Foto: Daniel L. Lu (user:dllu) CC BY-SA 4.0



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