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Turkish Stream als Ersatz für Nord Stream 1 und 2? Wie Wladimir Putin in der Türkei die Rettung sucht

Nord Stream 1 und 2 entfallen. Nun sucht Wladimir Putin seine Rettung über die Türkei. Eine Analyse zur möglichen Verlagerung der Gasströme.

Offenbar sieht der russische Präsident Wladimir Putin seine Felle davonschwimmen. Aus dem Gashahn mit Einnahmen zu hohen Gaspreisen tröpfeln nur noch Restmengen nach Europa. Legendäre Dividenden sind damit für Gazprom nicht zu machen und große Bauprojekte für China schwer zu finanzieren. Der Schwenk nach Osten hat seinen Preis. Ausgerechnet die wirtschaftlich klamme Türkei scheint für Putin die Rettung zu sein, gehört sie doch zu den 143 UN-Mitgliedsstaaten, die jüngst in einer Resolution die völkerrechtswidrigen Annexionen Russlands in der Ukraine verurteilten. Das hielt den russischen Präsidenten nicht davon ab, seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan in der kasachischen Hauptstadt Astana am 13. Oktober im Rahmen des Gipfeltreffens der Konferenz für Zusammenarbeit und Vertrauensbildende Maßnahmen in Asien (CICA) die Idee zu unterbreiten, in der Türkei einen Gashandelsplatz zu installieren und die Schwarzmeergasleitung Turkish Stream auszubauen. Diese Gasleitung liefere schließlich zuverlässig Gas.

Putin und Erdogan im Gespräch

Über das Treffen der beiden Staatschefs informierten russische Medien und der Kreml. „Wenn die Türkei und unsere potenziellen Käufer aus anderen Ländern interessiert sind, könnten wir den Bau eines weiteren Gasleitungssystems und die Schaffung eines Gashubs in der Türkei für den Verkauf in andere Länder, in Drittländer, in erster Linie natürlich in europäische“, sagte demnach Putin zu Erdogan. Auf der Energiewoche hätten sie sich nach Rücksprache mit dem türkischen Energieminister, dem Chef von Botas und Gazprom darüber verständigt.

Auch wenn der russische Gaskonzern und Putin den intakten Strang von Nord Stream 2 für Gaslieferungen nach Europa weiter anbieten, soll Turkish Stream im Schwarzen Meer helfen, Kunden in Europa zurückzugewinnen. Saboteure, die versuchten, Turkish Stream in die Luft zu sprengen, seien in Russland festgenommen worden, erklärte Putin außerdem. Mit einem Seitenhieb in Richtung Preisdeckel in Europa erklärte er, dass sich die Frage der Gaspreise über diese neue Handelsplattform regeln lasse. „Diese Preise sind heute unverschämt. Wir könnten sie ruhig auf einem normalen Marktniveau ohne politischen Anstrich regulieren.“

Pipeline-Pläne an der europäischen Südflanke

Ebenso traf sich Putin mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew. Aserbaidschan verfolgt eigene Ambitionen, wenn es um Gaslieferungen nach Europa geht. Auch beim südlichen Gaskorridor vom Kaspischen Meer in Aserbaidschan über die Türkei bis nach Süditalien spielt die Türkei eine zentrale Rolle. Beide Länder behält Putin daher im Auge. Der neue Gashandelspunkt in der Türkei ist aus russischer Sicht möglicherweise ein Vehikel, um die Geschehnisse am südlichen Gaskorridor wie seinerzeit, als das Vorgängerprojekt von der Nabucco-Pipeline, die bis zu 30 Milliarden Kubikmeter im Jahr aus dem Kaspischen Raum über Südosteuropa bis nach Baumgarten in Österreich bringen sollte, im Gespräch war, in Schach zu halten. Auf dem südlichen Gaskorridor können nach Europa 10 Milliarden Kubikmeter vom Kaspischen Meer transportiert werden. Ausbaupläne und eine Verdopplung der Liefermenge sind im Gespräch. Darüber sprach Alijew anlässlich einer neuen Pipeline-Verbindung zwischen Griechenland und Bulgarien Anfang Oktober.

Im Fahrwasser von Nabucco entstand die Idee von South Stream im Schwarzen Meer. Vier Leitungsstränge sollten im Jahr insgesamt 63 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland an die bulgarische Schwarzmeerküste transportieren können. Dies vereitelte am Ende die europäische Gesetzgebung zum Energiemarkt. So wurde aus South Stream die Gasleitung Turkish Stream, die jedoch nur die Hälfte der einst geplanten Transportkapazität aufweist. Zugleich ist die Türkei für Gastransporte nach Europa zum Dreh- und Angelpunkt geworden, was Erdogan auf der Rechnung haben dürfte. In Sachen Gaspreissenkung ist für ihn das letzte Wort aus Russland noch nicht gesprochen. Schließlich drückt die Inflation die Wirtschaft im Land am Bosporus schwer. Die angeknackste Bonität des aktuell größten Gaskunden scheint Putin indes in Kauf zu nehmen, wenn es nicht gelingt, die Gastransportbrücke Nord Stream in der Ostsee wieder in Gang zu bringen.

Putin klammert sich an Nord Stream 2

Die Transportvolumina, die beim Turkish Stream-Korridor hinzukommen, sollten mit den Volumina, die in der Ostsee aufgrund internationaler Terroranschläge an den Nord Stream Gasleitungen verloren gingen, vergleichbar sein, erklärte im russischen Fernsehen Gazprom-Chef Alexej Miller. 55 Milliarden Kubikmeter Jahrestransportkapazität schlagen bei der beschädigten Gasleitung Nord Stream 1 zu Buche. Bei Nord Stream 2 ist es die Hälfte. Die zweite Ostseegasleitung ging jedoch wegen Putins Krieg in der Ukraine nicht in Betrieb. Ein Ergebnis könne sein, dass eine Erweiterung von Turkish Stream im Schwarzen Meer vereinbart wird, wie das früher mal geplant war, erklärte Wladimir Demidow, Experte für internationale Energiepolitik, in der Tagesschau der ARD am 13. Oktober.

Miller selbst sprach auch von zwei neuen Strängen für Turkish Stream, zumal dies in vorliegenden Plänen zu South Stream bereits ausgearbeitet sei, wollte sich aber nicht festlegen, wann und wie die Pläne zur Türkei umgesetzt werden sollen. Wie dem auch sei, das Verlegen neuer Gasleitung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Verluste durch verprellte zahlungsfähige Kunden wie Deutschland dürften schmerzhaft sein. Daher wollen die Petersburger Miller und Putin die intakte Röhre in der Ostsee auf keinen Fall untergehen lassen. Das Beheben der Schäden kostet. Turkish Stream als Anker in stürmischer See wirkt da eher wie ein SOS-Signal.

Wladimir Putin Wladimir Putin. Foto: Kremlin.ru CC BY 4.0



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2 Kommentare

  1. Ich denke, da sucht Erdogan eher die Rettung.

  2. Dass Putin Erdogan nun die Türkei als zentrales Gas-Drehkreuz verheißt, ist clever. Erdogan wird da sofort wieder feuchte Allmachtsfantasien bekommen und einwilligen.

    Putin hat nie Gaslieferungen an DE verweigert, sondern es ist dieses Land, das aktiv kein Gas mehr abnimmt, auch jetzt noch für die verleibende NS2 Röhre. Nur eine Frage der Zeit, bis sich das wieder ändert (oder auch diese Röhre von unseren „Freunden“ in die Luft gejagt wird…)

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