Ein steigender Aktienmarkt, eine abkühlende Inflation und besser als erwartete Wirtschaftsdaten veranlassen immer mehr Anleger dazu, darauf zu wetten, dass die US-Notenbank eine sanfte Landung, also ein Soft Landing der Wirtschaft in den USA erreichen kann, bei der sich die Verbraucherpreise normalisieren, ohne eine Rezession auszulösen. Der Chefökonom des weltweit zweitgrößten Vermögensverwalters, The Vanguard Group, glaubt das nicht.
Nachfolgend sind die Höhepunkte des Gesprächs, u. a. zum Thema Soft Landing, aus Gründen der Übersichtlichkeit von der Nachrichtenagentur Bloomberg und der Finanzmarktwelt.de zusammengefasst, um Grafiken ergänzt und sprachlich bearbeitet worden.
USA: Narrativ vom Soft Landing der Wirtschaft widerspricht der 150-jährigen Erfahrung
Einer der einflussreichsten Ökonomen an der Wall Street und Chefökonom des weltweit zweitgrößten Vermögensverwalters nach BlackRock, Joe Davis, erklärte am Freitagabend vergangener Woche in dem Podcast „What Goes Up“, warum er nicht an das Narrativ eines Soft Landing der US-Wirtschaft glaubt. Zudem gab er seine Einschätzung zur jüngsten Zinssitzung der US-Notenbank (Fed) sowie seinen Ausblick für den Anleihenmarkt ab.
Joe Davis ist globaler Chefökonom des Fondsmanagements der The Vanguard Group und Leiter der hauseigenen Investment Strategy Group.
Nachfolgend sind die Höhepunkte des Gesprächs, u. a. zum Thema Soft Landing, aus Gründen der Übersichtlichkeit zusammengefasst, um Grafiken ergänzt und sprachlich bearbeitet. Klicken Sie hier, um das vollständige Frage-Antwort-Interview via Apple Podcast anzuhören oder alternativ hier, um dem Podcast bei Spotify jeweils auf Englisch zu lauschen (Dauer: ca. 40 Minuten).
Frage: Eine der Bemerkungen, die einige Marktteilnehmer in der Pressekonferenz mit dem Chef der US-Notenbank nach der letzten Zinssitzung überraschte, war, dass Jerome Powell sagte, er erwarte nicht, dass die Inflation vor 2025 wieder auf das Inflationsziel der Fed von 2 Prozent zurückkehre. Wir haben gleichwohl einen sehr starken Rückgang der Preisdynamik, gemessen an den allgemeinen Konsumentenpreisen, vom Höhepunkt bei knapp 9 Prozent auf Jahresbasis im Juni 2022 auf 3,1 Prozent im Juni dieses Jahres gesehen. Macht es Sinn, dass es so viel länger dauern wird, bis 2 Prozent Inflationsrate erreicht sind?
Antwort: Nun, ich denke, es wird einige Zeit dauern. Und ich denke, das war ein subtiler, aber tatsächlich sehr wichtiger Punkt. Das ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Kommentare, die von Powell gemacht wurden. Und es gibt unsere eigenen Untersuchungen und Prognosen bei Vanguard, die Prognosen der Fed sowie wissenschaftliche Analysen, unter anderem vom ehemaligen Fed-Vorsitzenden Ben Bernanke, die alle auf das gleiche Ergebnis hinweisen – nämlich, dass die Inflation für einige Zeit erhöht, also über 2 Prozent bleiben wird. Der Hauptgrund dafür ist die Anspannung auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb sind wir der Ansicht – ich bin seit einiger Zeit fest davon überzeugt – dass wir eine gewisse Abkühlung auf dem Arbeitsmarkt erleben müssen, um kurzfristig 2 Prozent zu erreichen, denn dann fällt auch die Lohndynamik zurück.
Und ich denke, der Anleihenmarkt hat sich langsam damit auseinandergesetzt und beginnt, Zinssenkungen auszupreisen? Wenn wir uns an den Anfang des Jahres erinnern, herrschte am Rentenmarkt die große Überzeugung, dass es zu einer deutlichen Entspannung bei den Kapitalmarktzinsen und Zinssenkungen kommen würde, und zwar schon jetzt im Sommer. Und ich denke, dass diese Kommentare Powells darauf hindeuten, dass es einer gewissen Schwäche des Arbeitsmarktes bedarf, um den letzten Meter, wie viele es nennen, von der Trendinflation von 3 Prozent auf das Inflationsziel der Fed von 2 Prozent zu schaffen.
Frage: Gibt es derzeit Hinweise auf eine Lohn-Preis-Spirale?
Antwort: Ich denke, das war letztes Jahr eindeutig der Fall. Der Lohndruck war erheblich, nämlich 6-7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Fluktuation auf dem US-Arbeitsmarkt war zudem überdurchschnittlich hoch.
Wir wussten aber, dass einiges dieser Entwicklung vorübergehender Natur sein würde. Aber ich denke jetzt, dass es nun keine Fortsetzung der Lohn-Preis-Spirale geben wird, sondern dass der Arbeitsmarkt lediglich unausgeglichen ist.
Viele Marktakteure verweisen auf das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosigkeit. Dieses Verhältnis ist unausgewogen. Wir haben uns diese Daten bis zum Ersten Weltkrieg, also 100 Jahre in die Vergangenheit angeschaut, was uns während der Corona-Krise früh die Erkenntnis vermittelte, dass wir einen gewissen lohnabhängigen Inflationsdruck in der US-Wirtschaft haben werden.
Das Verhältnis ist jetzt gesunken, das sind gute Nachrichten. Aber derzeit beträgt das Verhältnis 1,5 offene Stellen zu einer besetzten Stelle. 1,5 liegt also über eins, es ist unausgewogen, die Nachfrage übersteigt das Angebot. Wir beginnen, einen Bereich zu betreten, in dem jeder weitere Rückgang der offenen Stellen mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit einhergeht. Und davon gab es seit hundert Jahren keine Ausnahme mehr.
Frage: Lassen Sie uns nun über die Idee einer sanften Landung bzw. Soft Landing der US-Wirtschaft sprechen. Es scheint, als würde dieses Narrativ unter Ökonomen eine immer größere Anhängerschaft gewinnen. Eines der interessanten Dinge, die Powell sagte, war, dass die Mitarbeiter der Fed nun keine Rezession der US-Wirtschaft mehr prognostizieren. Wie denken Sie darüber?
Antwort: Viele der Prognosen scheinen dramatisch bipolar zu sein. Entweder gibt es ein Rezessionslager oder ein Soft Landing Lager, oder? Aber die Prognosen, einschließlich der Fed, einschließlich der von Vanguard und vielen anderen Ökonomen, sind tatsächlich eher ähnlich als unterschiedlich. Es gab einfach diese bipolare Art, oh, wir sind im Rezessionslager oder im Soft Landing Lager. Der Grund, warum ich das sage, ist der, dass fast jeder mittlerweile einen Anstieg der US-Arbeitslosenquote um mindestens 30 bis 40 Basispunkte erwartet, also über 4 Prozent Arbeitslosenquote.
Historisch gesehen war das zu 100 Prozent mit einer Rezession verbunden. Nun, nicht unbedingt eine tiefe Krise, aber eine Rezession. Das ist übrigens die Prognose der Federal Reserve. Ich meine, semantisch gesehen sagen sie aktenkundig, dass es keine Rezession gibt. Aber gemessen an dieser Kennzahl handelt es sich tatsächlich um eine Rezession, da es nur sehr geringfügige Arbeitsplatzverluste gibt. Das BIP könnte nächstes Jahr um leichte 0,5 bis 1,0 Prozent wachsen. Das kommt unseren Prognosen und einer Rezession der US-Wirtschaft nahe.
Die jüngsten Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) waren etwas stärker als erwartet, aber letztendlich waren wir der Meinung, dass man seinen Kuchen nicht gleichzeitig essen und behalten kann – was bedeutet, dass man eine leichte Abschwächung des Arbeitsmarktes sehen muss, um die Inflation auf den letzten Metern auf 2 Prozent zu senken. Was für den die Arbeitslosenquote eine Steigerung auf mindestens 4 Prozent bedeutet, wenn auch hoffentlich nicht drastisch höher. Sagen wir viereinhalb Prozent im nächsten Jahr. Nun, das wäre ein Anstieg um 100 Basispunkte.
Per Definition handelt es sich dann schon um eine Rezession der US-Wirtschaft. Wer nun denkt, dass es sich dabei um ein Soft Landing handelt, missachtet unsere 150-jährige Wirtschaftsgeschichte. Ich sage nur, dass das kategorisch falsch wäre.
FMW/Bloomberg
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Die hohen Zinsen brauchen immer eine lange Zeit, ehe sie ihre volle Wirkung entfalten können. Das beste Beispiel ist der Zeitraum vom Frühjahr 2006 bis zum Herbst 2007.
Auch damals stiegen die Märkte immer weiter, obwohl die FED die Zinsen schon auf über 5 Prozent erhöhte hatte.
Erst im Sommer/ Herbst 07, also über ein Jahr später ,machten sich erste Bremsspuren in der US Wirtschaft bemerkbar.
Es braucht also seine Zeit, ehe die hohen Zinsen auch in der Realwirtschaft ankommen. Das geht nicht von heute auf morgen.
Vergleichen Sie bitte hierzu die Charts der US Börsen, mit den entsprechenden Zinserhöhungen der FED ,im besagtem Zeitraum.