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Vorsicht komplett über Bord geworfen Aktienmärkte: Wall Street geht All-in – ganz ohne Absicherung

Aktienmärkte: Wall Street ganz ohne Absicherung im Rallye-Modus
Traders at Wall Street - Foto: Bloomberg

Um mit der fulminanten Rallye an den Aktienmärkten mitzuhalten, hat die Wall Street ihre Vorsicht komplett über Bord geworfen. Das Hauptopfer der impulsiven November-Rallye ist: die Zurückhaltung der Anleger. Dank der sich abzeichnenden größten Marktschmelze (Melt-up) der letzten 100 Jahre ist die Nachfrage nach Absicherung nahezu verschwunden. Wie Bloomberg berichtet, kämpfen sowohl professionelle als auch private Händler darum, mit dem S&P 500 Schritt zu halten, der allein in diesem Monat um fast 9 % zugelegt hat.

Frühere defensive Strategien – von inflationsgeschützten Anleihen bis hin zu börsengehandelten Bargeldfonds und Put-Optionen – werden nun von Investoren über Bord geworfen. Ersetzt wurden diese von einem steigenden Appetit auf Tech-Aktien, Junk Bonds und Small-Cap-Aktien. Euphorie und Gier sind zurück an den Aktienmärkten.

Wall Street: Treiber der Rallye

Angetrieben wird das Ganze von der Überzeugung, dass die Federal Reserve die Zinserhöhungen abgeschlossen hat und 2024 mit Zinssenkungen beginnen wird. Eine Spekulation, die dazu führt, dass Portfolios, die im Verhältnis 60/40 zwischen Aktien und Anleihen aufgeteilt sind, vor dem besten Monat seit 2020 stehen.

Das am Dienstag veröffentlichte Sitzungsprotokoll der Fed bekräftigte die Einigkeit der Geldpolitiker, bei der Zinsentwicklung „vorsichtig“ vorzugehen, um die Inflation wieder auf ihr 2%-Ziel zurückzuführen.

„Die Bereitschaft der Fed, hier eine Pause einzulegen und die robusten Wirtschaftsdaten zu betrachten, lässt den Optimismus für eine weiche Landung überhand nehmen“, sagte Priya Misra, Portfoliomanagerin bei JPMorgan Asset Management. Doch „der Mangel an Absicherung spiegelt die Selbstzufriedenheit in Bezug auf die Inflation wider, Anleger verlassen sich dabei allein auf die Hoffnung“.

Aktienmärkte vor einem der größten November-Gewinne aller Zeiten
Das 60/40-Portfolio steht vor einem der größten Monatsgewinne der letzten Jahre

Aktienmärkte: Starke Zuflüsse in den S&P 500

Der S&P 500 legte in der abgelaufenen Woche um 1 % zu und verzeichnete damit seinen vierten wöchentlichen Anstieg in Folge. In den letzten 19 Handelstagen gab es nur drei leichte Rückgänge. Der Benchmark ist auf dem besten Weg zu einem Novembergewinn, der alle bis auf lediglich fünf Ausnahmen seit 1928 übertrifft. Der Russell 2000, an dem die Anleger den Zustand der Wirtschaft ablesen, legte in dieser Woche ebenfalls um 0,5 % zu. Der Bloomberg 60/40-Index hat allein in diesem Monat fast 7 % dazu gewonnen.

Den Daten von EPFR Global zufolge verzeichneten globale Aktienfonds in den letzten zwei Wochen die größten Zuflüsse seit Februar 2022. Nach Angaben von Bloomberg haben börsengehandelte Aktienfonds im November bisher 43 Milliarden US-Dollar eingenommen und steuern auf ihren zweitbesten Monat in diesem Jahr zu. Zwei börsengehandelte ETFs, die bargeldähnliche Fonds abbilden, verzeichneten in dieser Woche Abflüsse in Höhe von 1,1 Milliarden Dollar, und aus dem iShares TIPS ETF zogen die Anleger in den letzten drei Wochen 700 Millionen Dollar ab.

Rallye ohne Absicherung

Die Nachfrage nach Absicherungsgeschäften ist stark zurückgegangen, wobei die Kosten für die Absicherung gegen eine Korrektur an den Aktienmärkten um etwa 10 % bzw. eine Standardabweichung auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2013 gefallen sind. Die Nachfrage nach Tail-Risk-Absicherungen, die bei einem Aktienrückgang von bis zu 30 % ausbezahlt werden, ist ebenfalls zurückgegangen und bewegt sich auf dem niedrigsten Stand seit März.

„Es gibt derzeit absolut keine Nachfrage nach Absicherungen – die Kosten für die Absicherung unter Verwendung verschiedener Metriken sind alle in der Nähe von Tiefstständen auf Sicht von fünf Jahren“, sagte Amy Wu Silverman, Leiterin der Derivate-Strategie bei RBC Capital Markets. „Außerdem wird die Volatilität (VIX) an den Aktienmärkten aufgrund von Strategien zum Verkauf von Volatilität weiterhin unterdrückt.“

Aktienmärkte: Wall Street ohne Absicherung im Rallye-Modus
Keine Absicherung – Die Nachfrage nach Abwärts- und Tail-Hedges ist stark gesunken

Wall Street-Strategen erwarten neues Rekordhoch

Unterdessen sind die Wall Street-Strategen damit beschäftigt, weitere Kursgewinne für die Aktienmärkte vorherzusagen. Lori Calvasina von RBC Capital Markets prognostiziert, dass der S&P 500 im nächsten Jahr ein Rekordhoch erreichen wird, ebenso wie Savita Subramanian von der Bank of America. Letztere ist optimistisch, weil die Unternehmen ihrer Meinung nach lernen werden, sich an das höhere Zinsumfeld anzupassen.

Der Enthusiasmus hat sogar Hedge-Fonds dazu veranlasst, sich so stark wie seit 22 Jahren nicht mehr in US-Aktien zu engagieren, wobei Megacaps aus dem Technologiesektor am beliebtesten waren. Nach Angaben der Goldman Sachs haben auch Investmentfonds ihr Engagement in diesem Sektor im dritten Quartal erhöht.

Zu denjenigen, die kapitulierten, gehört auch ein Pool von Anlageberatern, eines speziellen Anlageprodukts, den „Managed Futures“, die als commodity trading advisers (CTA) bekannt sind. Nachdem sie Ende Oktober an der Seitenlinie gesessen hatten, kauften CTAs in den letzten zwei Wochen globale Aktien im Wert von mehr als 60 Mrd. USD, so Nicolas Le Roux von der US Group AG, der erwartet, dass sich die Ströme fortsetzen werden, wenn auch in geringerem Tempo.

Wall Street: Die Rallye im S&P 500 und Russell 2000 weitet sich aus
Die Rallye im S&P 500 und Russell 2000 weitet sich vom Oktobertief aus

Gehen die Aktienmärkte ein zu großes Risiko ein?

Nicht alle kaufen. Marija Veitmane, Senior Multi-Asset-Strategin bei State Street Global Markets, ist immer noch besorgt über Rezessionsrisiken und Inflationsdruck, insbesondere im Dienstleistungssektor. Das spüren auch die Amerikaner. Die kurzfristigen Inflationserwartungen in den USA kletterten auf ein Siebenmonatshoch, während die längerfristigen Preiserwartungen auf einem seit 2011 nicht mehr gesehenen Niveau verharrten.

„Die aktuellen Wirtschaftsdaten rechtfertigen noch immer nicht die derzeitige aggressive Normalisierung der Geldpolitik“, sagte Veitmane. „Die Zinsen müssen also noch länger hoch bleiben, was uns höchstwahrscheinlich in eine Rezession stürzen wird. Dementsprechend dürften die Gewinnerwartungen zu hoch sein. Daher unterstützen wir diese Rallye nicht“.

Für Peter Chatwell, Leiter des Bereichs Global Macro Strategies Trading bei Mizuho International ist die Tatsache, dass Zinssenkungen der Fed bevorstehen könnten, kein tragfähiger Grund für eine enthusiastische Marktstimmung.

„Wenn die Fed die Zinsen wegen einer Rezession senkt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass dies die Aktienmärkte stützt“, sagte er. „Es sieht so aus, als befänden sich die Aktien in einem Sweet Spot bzw. Goldilocks-Szenario, der einen erheblichen Gewinnanstieg erfordert, damit dieses hohe Niveau gehalten werden kann.“

FMW/Bloomberg



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1 Kommentar

  1. Dr. Sebastian Schaarschmidt

    Die Bilanz der FED liegt immer noch beim Zehnfachen der Jahrtausendwende. Guckt man sich die Bilanz näher an, so sieht man das die FED in der letzten Zeit fast nur Kurzläufer nicht verlängert hat, während die Langläufer immer noch wie Blei im Depot liegen.

    Im Gegenteil, in den letzten 4 Wochen, seit Ende Oktober/ Anfang November tritt die FED immer noch als zusätzlicher Käufer am Sekundärmarkt auf, indem sie auslaufene Anleihen durch neue ersetzt.

    So brach allein die Rendite der richtungsweisenden Zehnjährigen um mehr als 50 Basispunkte ein, das entspricht zwei Zinssenkungen zu jeweils 0,25 Prozent.
    Das alles trifft dann auf Märkte die sowieso mit viel Cash an der Seitenlinie nur darauf gewartet hatten. Ein Deja- Vu zum letzten Jahr im Oktober…
    Nur das sich diesmal die FED 14 Tage mehr Zeit ließ….

    Was bedeutet das für die Märkte…? Die FED ist immer mehr zum wichtigsten Player an den Märkten geworden. Ihre Pressekonferenzen, Statements und Interviews bewegen die Finanzmärkte spätestens seit der Finanzkrise…

    Die FED ist nicht bereit, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen….Nach wie vor gibt es den FED Put.
    Alleine dadurch ist das Kräfteverhältnis zwischen Bullen und Bären einseitig zu Gunsten der Ersten verschoben…
    Marc Faber, den ich sehe schätze, sagte mal: „Schafft die Notenbanken ab ! „….

    Und in der Tat, die Abschaffung der Notenbanken brächte das Kräftegleichgewicht wieder in’s Lot, aber natürlich ist das nicht im geringsten anzunehmen.

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