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Börsenweisheit – die Dümmste ist nicht tot zu kriegen

Sie alle haben die folgende Börsenweisheit sicher schon einmal gehört. Meistens wird sie ins Feld geführt, um dem geneigten Anleger Mut zumachen und die allgemeine Lage zu beschönigen. Hilfreich ist sie nicht und richtig schon gar nicht. Gerade in der heutigen Zeit von permanenter Marktverzerrung, Dauerrettung ganzer Währungsblöcke und dem völlig unnatürlichen Phänomen des Negativzinses mutet diese sogenannte Börsenweisheit geradezu grotesk an.

Die dümmste Börsenweisheit

Man hört und liest sie immer wieder, diese nutzlose und grundfalsche Börsenweisheit: Politische Börsen haben kurze Beine. Sobald es mit den Kursen an den Aktienmärkten wegen politischer Nachrichten abwärts geht, weil zum Beispiel die Große Koalition mal wieder kurz vor dem Aus steht oder Präsident Trump gegen China ätzt, poppen die Börsen-Schönredner wie Kai aus der Kiste und belehren uns unwissende Anleger erneut: Politische Risiken verschwinden genau so schnell, wie sie gekommen sind – das ist die Aussage hinter dieser „Weisheit“.

In Wahrheit steht eine ganze Industrie hinter solchen Durchhalteparolen, die keine Mittelabflüsse aus Fonds akzeptiert und auch das Neugeschäft nicht gefährdet sehen möchte. Die Broker und Wertpapierhandelsbanken können Skepsis bei ihrer Kundschaft ebenso wenig gebrauchen, wie Aktienbriefe oder Börsenblättchen. Als ehemaliger Mitarbeiter eines Online-Brokers kann ich Ihnen sagen, dass es, wenn es abwärts geht, noch mal richtig Provision regnet. Bleiben die Kurse dann aber zu lange im Keller, ist es schnell aus mit den Überschüssen aus Transaktionsgebühren. Also gilt es die Anleger bei Laune zu halten und Risiken zu relativieren oder wie in diesem Fall das Risiko mittels Zwergenbeinchen zu verniedlichen.

Dabei gehören Risiken genauso zur Kapitalanlage wie Chancen – beides bedingt sich sogar. Profis sprechen deshalb auch nicht über die Erzielung von Börsen-Gewinnen, sondern nüchtern über die Vereinnahmung von Risiko-Prämien. Das Risiko, auch das Politische, ist Teil der Finanzmarktrendite. Ohne Risiko gibt es keine Rendite. Aufklärung über diesen Zusammenhang wäre besser als die Anleger ständig mit solchen „Weisheiten“ zu belügen. Haben Lügen nicht auch kurze Beine?

Der Realitätscheck

Momentan gibt es mindestens vier ausgeprägte Risiken politischer Natur: die Stabilität der deutschen Regierungskoalition, den Handelskrieg, den Brexit und die Negativzinspolitik. Wobei Letztere wegen der durch sie entstandenen Verzerrungen an den Kapitalmärkten und die Zombifizierung des Unternehmenssektors das für die Börse höchste Risiko darstellt.

Die deutsche Regierungskrise schwelt bereits seit dem Tag der letzten Bundestagswahl am 24. September 2017, also seit fast zwei Jahren. Die Trump-Administration startete den Handelskonflikt bereits am 23. März 2018 mit der Einführung von Zöllen auf Stahl und Aluminium, die ab 1. Juni 2018 auch für Importe aus der EU gelten. Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Das Referendum zum Brexit fand bereits am 23. Juni 2016 statt, also vor 3 Jahren, zwei Monaten und zwei Wochen. Das Thema ist nach wie vor ein Dauerbrenner in den Medien und verursacht auch genau so lange schon ökonomische und finanzielle Schäden. Last but not least kommen wir zur Negativzinspolitik, die den natürlichen Prozess des Wettbewerbs zu Gunsten der produktivsten und innovativsten Unternehmen untergräbt. Stattdessen werden die Ressourcen an Unternehmen und Banken verschwendet, die bei einer Normalisierung des Zinsniveaus von heute auf morgen vom Markt verschwinden würden. Weil das Gesamtsystem genau das nicht verkraften würde, findet diese Normalisierung, also die Entpolitisierung des Zinses, auch nicht statt. Bereits seit Anfang Juni 2014, also seit über 5 Jahren, hat die Negativzinspolitik einen massiven und nachhaltigen Einfluss auf die Börsenentwicklung weltweit. So viel zum Wahrheitsgehalt dieser Börsenweisheit.

Fazit

Sollten Sie mal wieder einen „Experten“ undifferenziert über die Börsenweisheit lamentieren hören, dass politische Börsen kurze Beine hätten, dann können Sie ihm getrost die Kompetenz absprechen. Es ist lediglich die Durchhalteparole von Schönrednern und Börsen-Cheerleadern, wenn die Kurse mal wieder nicht wie an der Schnur gezogen nach oben wollen. Für Sie als Anleger beinhaltet diese „Weisheit“ keinen Mehrwert. Das Gegenteil ist richtig: Die Börsen sind permanent von politischen Einflüssen geprägt, viele davon sind dauerhaft. Fragen Sie mal einen Mitbürger aus der ehemaligen Sowjetunion oder der ehemaligen DDR – dort gab es aus politischen Gründen nicht einmal Börsen, jahrzehntelang.

Frankfurter Börse - Börsenweisheit
Gebäude der Frankfurter Wertpapierbörse. Foto: Mylius GFDL 1.2



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1 Kommentar

  1. „Sobald es mit den Kursen an den Aktienmärkten wegen politischer Nachrichten abwärts geht, weil zum Beispiel die Große Koalition mal wieder kurz vor dem Aus steht oder Präsident Trump gegen China ätzt, poppen die Börsen-Schönredner wie Kai aus der Kiste und belehren uns unwissende Anleger erneut: Politische Risiken verschwinden genau so schnell, wie sie gekommen sind – das ist die Aussage hinter dieser „Weisheit“.“

    Ich lass das hier so hier stehen, aber jetzt mal ehrlich : eine Normalisierung des Marktes wird wohl nur durch die EZB stattfinden können, und : das wäre gut so.

    Eine Normalisierung des Marktes, würde gleichzeitig eine Angleichung bedeuten zwischen dem Aktien- wie dem Anleihemarkt.

    Und das da, was wir hier sehen, ist eine Marktverzerrung, bewusst gesteuert , durch die Notenbanken, wegen Lehman.

    Dies würde allen zu Gute kommen, den Bullen wie den Bären, wer einen Bufu bei 175 für „marktgerecht“ bewertet, dem kann und muss man nur gratulieren… ?

    dies hat mit der „echten“ Wirtschaft NULL (!!!) zu tun.
    Und die Börsen sind ein Abbild unserer Wirtschaft.. ?

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