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Brexit völlig am Ende?

Westminister - Brexit im historischen Kontext besprochen

Alle Versprechungen des britischen Premiers Boris Johnson zum Thema Brexit, alle Befürchtungen und alle Hoffnungen der Menschen ändern nichts daran, dass auch das jüngste, noch von Theresa May ausgehandelte Austrittsdatum Großbritanniens aus der EU am 31. Oktober ohne Ergebnis bleibt, wenngleich die EU jetzt einer Verschiebung des Austritts zugestimmt hat.

Die Berichterstattung durch die Tagespresse beschränkt sich weitgehend auf emotionsschwangere Bekundungen über Pro und Contra, sowie über Gut und Böse. Dabei fällt unter den Tisch, wie die Austrittsbestrebungen des Vereinigten Königreichs entstanden sind, weshalb sich der Prozess so schwierig gestaltet, und welche Auswirkungen die Diskussion auf die Märkte hat.

Innerhalb Großbritanniens

Das Britische Parlament ist uneins, nachgerade zerstritten über den Casus Brexit. Dies war allerdings früher einmal anders. Zu Zeiten der Premierministerin Margaret Thatcher bestand Einigkeit, dass die Mitgliedschaftsbedingungen der damaligen EG nicht zufriedenstellend für die britische Bevölkerung sind. Auch die Oppositionsparteien stimmten Neuverhandlungen über den EG-Vertrag zu.

Aus der Erfolglosigkeit dieser Verhandlungen wurde der Wunsch nach einem völligen Austritt geboren – erstmals öffentlich formuliert mit der Forderung nach einem In-or-out-Referendum im Jahr 2008 durch die in der Opposition sitzenden Liberaldemokraten. Im Juli 2013 fasste auch die Konservativen Partei Großbritanniens einen einstimmigen Beschluss (304 : 0) für ein Referendum. Selbst die oppositionelle Labour-Partei befürwortete das Referendum. Unmittelbar vor der Abstimmung im Juni 2016 rief der damalige Premierminister David Cameron alle Wahlberechtigten auf, zur Urne zu gehen. Er paarte dies mit dem Versprechen, den Ausgang des Votums ohne Wenn und Aber umzusetzen.

Außerhalb Großbritanniens

Bis zum Ausgang des Referendums wurde über die Austrittsbestrebungen der Briten in den Zeitungen wenig berichtet. Warum auch? Artikel 50 des EU-Vertrages stellt es jedem Mitglied frei, auszutreten, und auch nach einem Austritt wieder einzutreten. Dies liest sich unkompliziert.

Doch nachdem – von allen Beobachtern völlig unerwartet – eine deutliche Mehrheit der Wähler für den Austritt stimmte, wurde auch internationales Interesse an der Entwicklung hörbar. Allerdings wurde die Diskussion schnell unsachlich, begünstigt einerseits durch die leidenschaftlichen Reden des damaligen Abgeordneten Nigel Farage im EU-Parlament, andererseits durch eine zunehmend populistische Berichterstattung in den Medien.

Wozu die EU wichtig ist

In ihren Anfängen wurde eine Europäische Vereinigung mit dem Bestreben gegründet, nach den beiden Weltkriegen eine Basis für dauerhaften Frieden in Europa zu schaffen. Inoffiziell sollte eine Möglichkeit installiert werden, Entwicklungen in Deutschland transparent zu machen, und vor allem eine nukleare Bewaffnung der Deutschen zu verhindern.

Seit den frühen 60er Jahren wurden Bestrebungen umgesetzt, Stück für Stück Handelsbeschränkungen abzubauen, was zunächst zur Abschaffung jeglicher Zölle, zuletzt sogar zu völliger Reisefreiheit zwischen den Mitgliedsländern führte. Unter Volksökonomen ist unumstritten, dass Handelserleichterungen immer sinnvoll für alle Beteiligten sind. Aktuell sind aus diesem Grund unzählige Abkommen dieser Art zwischen nahezu allen Ländern der Erde aktiv.

Der Einfluss der EU wuchs über diese Erleichterungen hinaus allerdings auch in Bereichen wie der Binnenwirtschaft, der Politik und der Rechtsprechung – bis zu dem Punkt, an welchem in Großbritannien der Eindruck entstand, die Nachteile überwögen die Vorteile.

Resumé zum Brexit

Es wäre vollkommen unseriös, ein Urteil darüber abzugeben, ob der Brexit nun stattfinden soll oder nicht. Auch steht es uns in keiner Weise zu, die Vor- oder Nachteile für Großbritannien als Ganzes, für das Volk, oder für die Wirtschaft zu bewerten.
Es steht aber eine Frage im Raum, die noch niemand beantwortet hat: wieso es im Europa des Jahres 2019 keinen hundertprozentigen Rückhalt für eine Entscheidung gibt, die auf demokratischem Wege zustande kam, und die in ihrer Entstehung völlig einwandfrei abgelaufen ist. Da diese Frage in ihrer Gewichtigkeit sämtliche anderen Aspekte des Brexit übertrifft, wirkt sich jede Ankündigung heftig auf die Handelsplätze aus. Wir sollten uns also aus finanztechnischer Sicht auf einen heißen Winter einstellen.



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7 Kommentare

  1. „Allerdings wurde die Diskussion schnell unsachlich, begünstigt einerseits durch die leidenschaftlichen Reden des damaligen Abgeordneten Nigel Farage im EU-Parlament, andererseits durch eine zunehmend populistische Berichterstattung in den Medien.“

    Schreiben Sie gerade zu leidenschaftlich oder hat Ihnen jmd vor diesem Artikel ins Hirn geschi….? Die Reden von ihm sind an Sachlichkeit kaum zu überbieten. Aber wenn man Argumente nicht widerlegen kann, dann wird eben Stuss verbreitet.
    Ihr zweites Argument triffts dafür immerhin.

    1. @Shong09, schön, dass wenigstens Sie ganz sachlich und wenig leidenschaftlich endlich einmal sagen, was Sache ist. Danke für den tiefen Einblick ;)

      1. Gern geschehn :)

    2. Lieber Shong09, ich stimme Ihnen in Bezug auf Nigel Farage voll und ganz zu. Seine Reden im EU-Parlament genieße ich noch heute regelmäßig auf Youtube. Da die Personalie Farage bei vielen Menschen emotional negativ belegt ist – d.h. sie hören auf, den Artikel zu lesen, weil etwas Positives über Nigel Farage darinsteht – habe ich diese Formulierung gewählt.

  2. Das Jahr 2128. Der britische Premierminister kommt wie jedes Jahr nach Brüssel und bittet um Verlängerung der Brexit-Deadline. Niemand erinnert sich, woher dieser seltsame Brauch stammt, aber es lockt viele Touristen in die Stadt.

  3. Die schütteln sich schon die Hände und geben gönnerhaft einen aus, aber die Chips liegen immer noch in der Mitte. Hindert die englische Regierung eigentlich etwas daran auszutreten und dem Parlament einen vergleichbaren Deal danach noch vorzulegen?

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