Hintergrund

Die Wohlstandsillusion: Schneeballsystem Eurozone, Hintergründe

Europas Banken finanzieren Staaten durch den Kauf von Staatsanleihen, die EZB finanziert die Banken, und die Staaten garantieren die Banken. Nun kommt durch Kapitalflucht aus Japan eine neue Dynamik in dieses Schneeballsystem.

Die Anleiherenditen Spaniens und Italiens sind weiter im Sinkflug. Eine 10-jährige Anleihe Spaniens rentiert mit 3,777%, für eine 10-jährige Anleihe Italiens sind 3,869% fällig. Und die Tendenz geht weiter zu sinkenden Risikoaufschlägen für die Staatsanleihen der Euro-Peripherie – obwohl sich die wirtschaftliche Lage in diesen Ländern bestenfalls marginal verbessert hat. So vermeldete etwa Italien kürzlich eine Rekordarbeitslosenquote von 12,7%, aber auch andere Krisenländer senken ihre Lohnstückkosten durch fallende Löhne oder Entlassungen mit dem Ziel, konkurrenzfähiger zu werden.

Nun muss man wissen, dass die Eurozone etwa 7% der Weltbevölkerung stellt, ca. 25% der globalen Wirtschaftsleistung erbringt, aber 50% aller globalen Sozialleistungen ausschüttet. 7% der Menschheit kommen also in den Genuss der Hälfte aller sozialen Segnungen auf dem Globus.

Und natürlich gibt es ein überragendes Interesse sowohl der europäischen Staaten als auch seiner Bürger, dass das auch so bleibt. Auf diese Weise entsteht eine merkwürdige Interessensallianz zwischen der Linken und der Hochfinanz: die Linke will den Erhalt oder Ausbau des Sozialstaats – und die Hochfinanz, in Gestalt ihres Hohepriesters Draghi, garantiert mit einem perfekten Schneeballsystem eben die Finanzierbarkeit der europäischen Sozialstaaten.

Dabei ist das System nicht wirklich kompliziert: Die Banken kaufen mittels kaum verzinster Kredite von der EZB Staatsanleihen ihrer jeweiligen Länder, brauchen dafür kein Eigenkapital vorhalten (weil Staaten, so die traditionelle Lehre der Volkswirtschaft, nicht pleite gehen) und können diese auch noch als Sicherheit bei der EZB hinterlegen. Ein bombensicheres, renditeintensives Geschäft zu wechselseitigem Nutzen, der perfekte Kreislauf, vom tumben Volksmund auch als “Schneeballsystem” bezeichnet. Und weil dieses Geschäft so bombig ist, wird es eben auch großflächig praktiziert, wie die Entwicklung der letzten Jahre zeigt.

In der Folge haben sich die Bestände spanischer Banken an heimischen Staatsanleihen seit Ende 2011 bis heute nahezu verdoppelt (von 160 Milliarden auf derzeit 300 Milliarden Euro), während der „Marktführer“ Italien Staatsanleihen im Gegenwert von 400 Milliarden an italienische Banken veräußern durfte (von 240 Milliarden Ende 2011). Faktisch aber wird diese Staatsfinanzierung ermöglicht und garantiert durch die EZB, deren Eigenkapital, vorsichtig formuliert, etwas dünn ist und zu einem Drittel aus zyprischen Staatsanleihen besteht.

Nun gibt es ein paar unbeugsame Gallier, die sich gegen die römische Übermacht auflehnen. Aber diese Gallier sind meist Teutonen, die den ehrenwerten, aber inzwischen machtlosen Geist der Bundesbank atmen und gegen den römischen Cäsar Draghi faktisch keine Chance haben. So hat Bundesbankpräsident Weidmann gefordert, dass Banken eben Eigenkapital auch für Staatsanleihen hinterlegen müssten. Auch der belgische Chefvolkswirt der EZB, Praet, hat sich dieser Meinung zuletzt angeschlossen.

Aber solange Draghi das Zepter schwingt, werden die Forderungen Weidmanns und Praets keine Chance auf Realisierung haben. Das Risiko ist einfach zu groß, damit den Kreislauf des Schneeballsystems zu destabilisieren und so die Schuldenkrise, die so herrlich begraben scheint, wieder auferstehen zu lassen. Das ist auch der Grund, warum Draghi keinen Gegenwind führender europäischer Politiker fürchten muss – stünde eine deutsche Kanzlerin Merkel etwa bedingungslos hinter der Forderung Weidmanns, könnte Draghi diese nicht so entspannt beiseite schieben.

Draghi ist spätestens seit seinem Schwur vom Sommer 2012, der ökonomisch wohl wichtigsten und folgenreichsten Aussage des bisherigen Jahrhunderts („the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough“), der faktische Retter der Eurozone und damit unangreifbar.

Mit der Fluchtbewegung von Kapital aus Japan bekommt das ohnehin schon bestehende Schneeballsystem noch eine zusätzliche Dimension.

Die Japaner fürchten mit der extrem expansiven Geldpolitik seit Antritt des Ministerpräsidenten Abe völlig zu Recht eine absehbare Entwertung der eigenen Währung, gegen die sie sich durch Kapitalexporte zu schützen versuchen. Da der japanische Staat bereits 70% aller eigenen Staatsanleihen selbst kauft, treten sie die Flucht nach vorne an und sichern sich noch ordentlich verzinste Staatsanleihen der Euro-Peripherie, für die die EZB (und in letzter Instanz dann vor allem Deutschland) faktisch bürgt. Nur so können japanische Banken und Pensionsfonds der politisch gewollten Inflationierung des Yen entgehen.

Und so wird sich die Spirale noch einige Zeit weiterdrehen. Der Schneeball wird immer größer – bis dann irgendwann die Statik des gigantischen Schneeballs kollabiert. Historisch gesehen ist noch jedes Schneeballsystem gescheitert. Und genau dies wird auch mit dem europäischen Schneeballsystem passieren, schließlich gibt es kein Perpetuum mobile.

Die Frage ist nicht, ob das passieren wird, sondern wann es passiert. Und dann heißt es Abschied nehmen von unserer Wohlstandsillusion. Aber bis dahin sollten wir einfach noch die Wohlstands-Zeit und ihre sozialen Segnungen genießen – grazie Mario!



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1 Kommentar

  1. Genau so ist es! Es ist nur die Frage, wie lange kann der immer größer werdende Schneeball noch rollen, bis er die Talsohle erreicht hat und es dann nicht mehr weitergeht.

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