Kann die EZB die Zinsen trotz einer immer schwächeren Wirtschaft in der Eurozone wirklich weiter anheben? Die heute veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes jedenfalls zeigen, dass die schnell gestiegenen Zinsen bei nach wie vor hoher Inflation die Konsumenten unter Druck bringt – daher schwächelt nun auch der bis vor kurzem noch so robuste Dienstleistungssektor.
Das gilt besonders für die beiden größten Volkswirtschaften der Eurozone Deutschland und Frankreich: in beide Ländern folgt der Dienstleistungssektor dem verarbeitenden Gewerbe in einen tiefen Einbruch.
Die Unternehmen in beiden Ländern verzeichneten eine schwächere Nachfrage und meldeten Rückgänge bei den Auftragsbeständen, die auf weitere Schwierigkeiten hindeuten.
Miese Daten aus der Wirtschaft: Stoppt die EZB die Anhebung der Zinsen?
Der von S&P Global ermittelte Wert für Deutschland fiel von 48,5 im Juli auf 44,7 – den niedrigsten Stand seit mehr als drei Jahren. Ein ähnlicher Wert für Frankreich blieb mit 46,6 zwar stabil, liegt damit aber immer noch weit unter der 50er-Schwelle für Wachstum.
Die Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass die schwindende globale Nachfrage, die hohe Inflation und die aggressive Anhebung der Zinsen durch die EZB ihren Tribut von der Wirtschaft fordern.
Die Anleger stürzten sich nach den Zahlen auf deutsche Anleihen, so dass die Rendite 10-jähriger Anleihen um 9nenBasispunkte auf 2,56% fiel, während die Händler ihre Zinswetten aggressiv reduzierten und nun nur noch eine 60%-ige Chance für eine weitere Anhebung der Zinsen um einen Viertelpunkt sehen, gegenüber 80% zuvor.
Der Euro fiel gegenüber dem Dollar um 0,3% auf 1,0813 Dollar, das ist der niedrigste Stand seit Mitte Juni.
„Das stärkt die Argumente derjenigen, die für eine Pause der Zinsen im September plädieren“, sagte Dirk Schumacher, Ökonom bei Natixis SA. „Angesichts dieser Zahlen geht es der Wirtschaft eindeutig nicht gut.“
Deutsche und französische Wirtschaft verschlechtern sich
Die Produktion im französischen Dienstleistungssektor fiel im August so schnell wie seit zweieinhalb Jahren nicht mehr, während die Produktion im verarbeitenden Gewerbe im siebten Monat in Folge zurückging. Die Auftragseingänge sanken den vierten Monat in Folge. Gleichzeitig hat der Inflationsdruck nachgelassen.
„Die französische Wirtschaft steckt in einem Trott fest“, sagte Norman Liebke, Volkswirt bei der Hamburger Handelsbank. „Wir könnten im dritten Quartal auf eine Schrumpfung zusteuern.“
Die Probleme in Deutschland sind noch größer. Der Dienstleistungssektor schrumpfte zum ersten Mal seit acht Monaten und zerstörte damit die Hoffnung, dass dieser Sektor den verheerenden Einbruch der Industrie abfedern könnte.
Hinzu kommt, dass die Preise wieder einmal steigen. Vor allem die Dienstleistungsunternehmen sahen sich aufgrund höherer Kraftstoffkosten und anhaltender Lohnzuwächse mit einem steilen und beschleunigten Anstieg der Ausgaben konfrontiert.
„Die Hoffnung, dass der Dienstleistungssektor die deutsche Wirtschaft retten könnte, hat sich in Luft aufgelöst“, sagt Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburger Handelsbank. Unter Berücksichtigung des jüngsten Berichts zeigt sein BIP-Prognosemodell, dass die Wirtschaft um fast 1% schrumpfen wird.
Angesichts dessen ist die Aussage von Bundeskanzler Scholz, dass die deutsche Wirtschaft fähig sei, die Herausforderungen zu meistern, wohl etwas zu optimistisch.
Die Eintrübung der Wirtschaft zeigt sich aber nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern im Euroraum ingesamt. So fiel dder Einkaufsmanagerindex für die Region auf 47 und damit weiter unter den Schwellenwert von 50, der auf Wachstum hindeutet. Der Dienstleistungssektor schrumpfte zum ersten Mal seit Ende letzten Jahres, während die Erwartungen auf eine anhaltende Expansion in einem Sektor gerichtet waren, der bis vor kurzem eine robuste Nachfrage verzeichnete.
Wirtschaft in der Eurozone signalisiert schnelleren Abschwung
„Der Dienstleistungssektor der Eurozone zeigt leider Anzeichen eines Abschwungs, der mit der schlechten Leistung des verarbeitenden Gewerbes übereinstimmt“, sagte Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburger Handelsbank, in einer Erklärung. „Die Dienstleistungsunternehmen meldeten zum ersten Mal seit Ende letzten Jahres eine schrumpfende Aktivität, während die Produktion im verarbeitenden Gewerbe erneut zurückging.“
Die Zahlen deuten darauf hin, dass die Wirtschaft des Euroraums im dritten Quartal um 0,2 % schrumpfen wird, verglichen mit einem Wachstum von 0,3 % in den drei Monaten bis Juni, sagte er.
Der Bericht kommt zu einem entscheidenden Zeitpunkt für die EZB, die noch unentschlossen ist zwischen einer weiteren Erhöhung der Zinsen im September und einer Zinspause. Während die Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit das letztere Ergebnis unterstützen sollte, enthielt der von S&P Global am Mittwoch veröffentlichte PMI-Bericht auch eine Warnung vor einem hartnäckigen Preisdruck.
Laut S&P Global stiegen die Gesamtinflationsraten der Input- und Verkaufspreise im August an, was teilweise auf die gestiegenen Löhne zurückzuführen ist.
„EZB-Präsidentin Christine Lagarde schlug Alarm, dass die Wirtschaft mit höheren Löhnen und geringerer Produktivität konfrontiert sein könnte, was zu einer höheren Inflation führen würde“, sagte de la Rubia. „Es sieht so aus, als würden sich diese Befürchtungen bewahrheiten, zumindest für den großen Dienstleistungssektor“.
Es gab auch Anzeichen dafür, dass der Arbeitsmarkt, der sich bisher gegenüber den sich verschlechternden Wirtschaftsaussichten widerstandsfähig gezeigt hat, allmählich den Druck zu spüren bekommt. Laut S&P Global kamen die Neueinstellungen fast zum Stillstand, da die Unternehmen mit düsteren Aussichten für das kommende Jahr konfrontiert wurden.
Das Vertrauen der Unternehmen ist gesunken, was vor allem auf einen geringeren Auftragsbestand zurückzuführen ist. Die Unternehmen äußerten sich auch besorgt über die allgemeine wirtschaftliche Abschwächung im Inland und auf den Exportmärkten, heißt es in dem Bericht.
Die Commerzbank geht daher davon aus, dass die EZB wohl im September die Zinsen nicht mehr anheben wird:
„Die heutigen Daten sprechen auch gegen eine weitere EZB-Leitzinsanhebung. Bislang ging die EZB in ihren Projektionen davon aus, dass die Wirtschaft im Euroraum in der zweiten Jahreshälfte weiter spürbar wächst. Auch wegen der heutigen Einkaufsmangerindex-Zahlen dürfte sie diese Erwartung revidieren und im September ihre Projektionen deutlich nach unten korrigieren.“
FMW/Bloomberg
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„EZB-Präsidentin Christine Lagarde schlug Alarm, dass die Wirtschaft mit höheren Löhnen und geringerer Produktivität konfrontiert sein könnte, was zu einer höheren Inflation führen würde“
Die Frau scheint was von der Materie zu verstehen, das wird sie der Welt sicher neben JP sitzend in JH demonstrieren.
Für mich bedeutet es schlichtweg: Die Inflation ist gekommen um zu bleiben, so hatte ich mir das vorgestellt, verdoppelte Preise
steigen nur noch 5% jährlich, wie beruhigend.
Schon die Architektur der EZB in FFM ist so schräg wie ihre innere Struktur.
Es gab hier mal die Initiative, das ganze Konstrukt abzuschaffen, was ist eigentlich daraus geworden?
Dragi, Legarde und co beweisen wieder einmal mehr ihre Inkompetenz.
Dank Jahrelanger Null-Zins Politik sind wir jetzt in dieser Situation. Und man wiederholt die selben Fehler wieder.
Dank 1-2% Zinsen und sorgloser Kreditvergabe hat sich jeder eine Immobilie kaufen können, selbst als sich die Preise verdoppelten.
Jetzt sind die Preise durch künstlich geschaffene Nachfrage in die Höhe getrieben. Die einen können sich selbst mit 0 Zinsen keine Immobilie mehr leisten, andere haben schon, natürlich steht jetzt die Baubranche und alles was damit zu tun hat für die nächsten 10 Jahre, schließlich hat man ja auch die Projekte für die nächsten 10 Jahre vorgezerrt um 2 Jahre tolles Wirtschaftswachstum zu erreichen.
Nächsten Problem wird das sein, die Leute müssen Kredite zurück zahlen, selbst mit Null-Zins bleibt da nichts mehr zum konsumieren. Und die, die gespart hatten, deren Erspartes ist nichts mehr Wert Dank der von den Nationalbanken getriebenen Inflation.
Wer bitte soll noch konsumieren, um das ständige und unbegrenzte Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten?