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EZB-Visco: Die Inflation könnte schneller sinken als prognostiziert

In der EZB scheint man sich derzeit nicht einig darüber zu sein, wie sich die Inflation entwickelt und wie der künftige Zinskurs aussehen soll. Während EZB-Präsidentin Lagarde und Bundesbankpräsident Nagel immer wieder betonen, dass der Weg im Kampf gegen die Inflation noch lang sei, stimmen ein paar EZB-Ratsmitglieder inzwischen mildere Töne an – dazu gehört auch Ingnazio Visco. Eines steht aber fest, der Preisdruck hat zuletzt erkennbar nachgelassen. Die Gesamtinflation in der Eurozone ist auch im Juni stärker zurückgegangen.

Die Verbraucherpreise stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,5 Prozent, nach 6,1 Prozent im Monat zuvor, wie das Statistikamt Eurostat kürzlich mitteilte. Es ist die niedrigste Inflationsrate seit Anfang 2022 und liegt deutlich unter dem Peak im Oktober 2022 von 10,6 %. EZB-Ratsmitglied Ignazio Visco, geht daher davon aus, dass die Inflation schneller sinken könnte, als die Europäische Zentralbank im letzten Monat prognostiziert hat, so berichtet Bloomberg. Die Zentralbank ist nach seinen Worten nicht mehr sehr weit von ihrem Zinsgipfel entfernt.

Rückgang der Inflation

Nach Ansicht des EZB-Mitglieds dürften sich die fallenden Energiekosten weiterhin auf ein breiteres Spektrum von Preisen auswirken. Im Gegensatz zur Gesamtinflation verharrt die Kerninflation, ohne die volatilen Faktoren Energie und Nahrung, jedoch auf hohem Niveau. Während Inflationsmaße, die volatile Posten herausrechnen, „hartnäckig“ seien, dürften sich niedrigere Preise für Rohstoffe, einschließlich Erdgas, zunehmend auswirken, sagte Visco am Dienstag gegenüber Bloomberg Television.

„Da wir auch einen erheblichen Rückgang der Energiepreise beobachten, müssen wir davon ausgehen, dass sich dies in den kommenden Monaten, sicherlich bis zum Jahresende, auch in der zugrunde liegenden Inflation bemerkbar machen wird“, sagte der Italiener in Gandhinagar, Indien, wo er an einem Treffen der Finanzchefs der Gruppe der Zwanzig teilnimmt.

„Die EZB geht davon aus, dass die Inflation bis Ende 2025 bei 2 % liegen wird – ich habe den Eindruck, dass es schneller gehen könnte“, sagte Visco, der auch die Bank von Italien leitet.

Weitere Zinsanhebung ist geplant

Die Währungshüter planen, die Zinssätze auf der Sitzung in der kommenden Woche um weitere 25 Basispunkte anzuheben. Es ist noch unklar, ob dies das Ende ihrer Reise bedeutet oder ob die härteste Straffungskampagne in der Geschichte der Zentralbank bei der nächsten geplanten Sitzung im September fortgesetzt wird.

Laut einer in dieser Woche veröffentlichten Bloomberg-Umfrage gehen Ökonomen davon aus, dass dies der Fall sein wird, was eine Anhebung des Einlagensatzes von derzeit 3,5 % auf 4 % bedeuten würde. Während falkenhafte Mitglieder vorgeschlagen haben, die Erhöhungen bis in den Herbst hinein fortzusetzen, befürchten andere, dass die wirtschaftliche Expansion Schaden nehmen könnte, nachdem die Eurozone im Winter in eine Rezession gefallen war.

Die EZB könnte den Einlagensatz bis auf 4 % im September anheben
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EZB: Das richtige Maß finden

„Es besteht die Gefahr, dass wir zu viel tun, und ich denke, dass wir damit vorsichtig sein müssen“, sagte Visco. „Es besteht auch das Risiko, dass wir zu wenig tun, also müssen wir ausgewogen sein und auf der Grundlage der eingehenden Daten entscheiden.“

Bundesbankpräsident Joachim Nagel sagte am Montag gegenüber Bloomberg, dass er mit einer weiteren Zinserhöhung in diesem Monat rechne und dass die Zinsentscheidung im September von den Daten abhängen werde.

Die geldpolitischen Entscheidungsträger sind besonders besorgt über die Kerninflation, die sich als hartnäckiger erwiesen hat als die Gesamtinflation. Sie stieg im letzten Monat auf 5,4 %, obwohl die EZB prognostiziert, dass sie sich im vierten Quartal 2025 auf 2,2 % verlangsamen wird, während die Gesamtinflation im gleichen Zeitraum 2,1 % erreichen dürfte.

Visco, der Ende des Jahres in den Ruhestand gehen wird, zeigte sich zuversichtlich, dass die EZB ihre Aufgabe erfüllen kann, ohne einen Wirtschaftsabschwung auszulösen.

„Ich glaube nicht, dass wir eine Rezession brauchen“, sagte Visco. „Wir können die Wirtschaft auch ohne Rezession bremsen. Aber wir müssen vorsichtig sein.“

FMW/Bloomberg

EZB-Visco: Die Inflation könnte schneller sinken als prognostiziert
EZB-Ratsmitlgied Ignazio Visco. Foto: Bloomberg


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1 Kommentar

  1. „Es besteht die Gefahr, dass wir zu viel tun, und ich denke, dass wir damit vorsichtig sein müssen“, sagte Visco. „Es besteht auch das Risiko, dass wir zu wenig tun, also müssen wir ausgewogen sein und auf der Grundlage der eingehenden Daten entscheiden.“

    Ich erlaube mir mal das in normaler Sprache zu übersetzten:

    Liebe Untertanen, leider sitzen wir in der Patsche und wir stecken als EZB in der Zwickmühle.

    Plötzlich und unerwartete absehbare Deflation, dann wieder plötzlich und unerwartete viel höhere Inflation. Da rennen wir halt auch nur den Daten hinterher.

    Der Basiseffekt würde sich nach einer heftiger als erwarteten Deflation wieder eine hohe Inflation bedingen. Die nächste Inflationsphase wird dann noch heftiger, da fiskalischer Stimulus und Lohnanpassungen (z.B. Mindestlohn) zeitversetzt wirken.

    Hohe Zinsen machen die Wirtschaft (vor allem der kreditgegebelten Südeuropäer) kaputt durch die schlechteren Finanzierungsbedingungen auf vielen Ebenden.
    Das sehen wir allerdings erst , wenn die Daten die kaputte Wirtschaft belegen. Niedrige Zinsen würden gepaart mit den in ihrer Wirkung zeitversetzten Lohnanpassungen eine spätere Inflationsexplosion begünstigen.

    Genug. Ich fasse zusammen: Wir haben fertig.

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