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EZB-Zinserhöhung: Wie verschiedene Experten es beurteilen

Die EZB hat die Zinsen erhöht, den Leitzins auf 4,50 %. Hier zeigen wir dazu von verschiedenen Experten die Einschätzung.

EZB-Chefin Christine Lagarde
EZB-Chefin Christine Lagarde. Foto: Alex Kraus/Bloomberg

Die EZB hat alle drei Zinssätze heute um 25 Basispunkte angehoben, den Leitzins von 4,25 % auf 4,50 %. War das eine gute Entscheidung, was sind die Auswirkungen? Hier zeigen wir die Aussagen verschiedener Experten im Wortlaut.

ifo lobt die Zinserhöhung der EZB

Das ifo-Institut schreibt: Der ifo-Präsident Clemens Fuest hat die Zinserhöhung durch die Europäische Zentralbank (EZB) gelobt. „Die Zinserhöhung der EZB ist gut begründet. Die Inflation bleibt trotz der konjunkturellen Abkühlung hoch. Für das Jahr 2024 hat die EZB ihre Inflationsprognose erhöht, vor diesem Hintergrund ist die Zinserhöhung folgerichtig“, sagte er am Donnerstag in München. „Für Deutschland ist die Zinserhöhung angesichts der Schrumpfung der Wirtschaft schmerzhaft. Die EZB macht aber Geldpolitik nicht nur für Deutschland, sondern für den Euroraum insgesamt.“

Commerzbank: Keine Zinssenkung im nächsten Jahr

Die Ökonomen der Commerzbank schreiben aktuell: Die EZB hat heute zwar die Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte erhöht, gleichzeitig aber angedeutet, dass wohl keine weiteren Zinserhöhungen folgen werden. Die Geldpolitik wirkt und bremst das Wachstum, wobei die EZB-Experten nach wie vor nicht mit einer Rezession rechnen. Wir gehen davon aus, dass die Notenbanker die Zinsen tatsächlich nicht weiter anheben werden. Gleichzeitig erwarten wir aber nach wie vor, dass die EZB die Zinsen nicht wie vielfach erwartet im kommenden Jahr senken wird. Dafür bleibt der unterliegende Inflationsdruck zu hoch.

Bankenverband sieht starkes Signal

Der Bankenverband schreibt: „Die heutige Entscheidung lässt keine Zweifel aufkommen: Die Europäische Zentralbank ist fest entschlossen, die Inflation im Euroraum auf das Ziel von 2 Prozent zu drücken“, sagt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes. „Ich halte das für ein starkes Signal und einen wichtigen Beitrag, um die Inflationserwartungen auf dem EZB-Ziel zu stabilisieren“. In den zuletzt gestiegenen Konjunktursorgen im Euroraum sieht Herkenhoff keinen Widerspruch zur Zinserhöhung: „Auch die Konjunktursorgen im Euroraum lassen sich derzeit am besten über eine weiter sinkende Inflation bekämpfen. Das wird der Kaufkraft der privaten Haushalte Halt geben und sollte auch die hohe Planungsunsicherheit in den Unternehmen reduzieren“.

Immobilienverband mit Statement

Der Immobilienverband ZIA schreibt aktuell: Die heutige Entscheidung des EZB-Rats, den Leitzins erneut anzuheben, erhöht aus Sicht der Immobilienwirtschaft den Druck, einschneidende politische Veränderungen zur Linderung der dramatischen Wohnungsnot in Deutschland einzuleiten „Die Tatsache, dass Politikerinnen und Politiker die eigentliche Zinsentscheidung nicht beeinflussen können, sollte jetzt ihren Ehrgeiz steigern, bei den Themen aktiv zu werden, bei denen sie die Macht haben“, kommentiert Oliver Wittke¸ Hauptgeschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), die Lage. „Für den Wohnungsbau in Deutschland sehe ich sonst tiefschwarz.“ Noch in diesem Monat müsse es „den politischen Schub geben, den es zwingend braucht“. Wittke: „Der Wohnungsmangel droht zu eskalieren. Die Politik im Bund, in den Ländern und den Kommunen muss gegensteuern. Nicht irgendwann, sondern jetzt“

Der ZIA fordert unter anderem

  • Ein großvolumiges „KfW-Kreditprogramm Wohnen“ mit einem Zinssatz von zwei Prozent für Neubauten ab Standard EH 55
  • Eine Planungsbeschleunigung durch Ausweitung der Sonderregeln des § 246 BauGB auf den Mietwohnungsbau
  • Ein temporäres Aussetzen der Grunderwerbsteuer auch für Investorinnen und Investoren
  • Eine deutschlandweite Pflicht, 30 Prozent des erforderlichen Zubaus einer Stadt für serielles und modulares Bauen auszuweisen.

Die in Aussicht gestellten Erleichterungen durch die degressive Afa seien „ein wichtiges erstes Signal, mit dem die Bundesbauministerin hoffentlich ein Umdenken auf breiter Front angestoßen hat“, sagt Wittke. Denn steigende Baukosten plus steigende Zinslasten schreckten „immer mehr Investoren davon ab, ihre Pläne, die sie gefasst hatten, dann auch umzusetzen“.

Insight Investment : Klare Worte der EZB

Jill Hirzel, Senior Investment Specialist bei Insight Investment, bewertet die Zinserhöhung der EZB wie folgt: Die EZB erhöhte die Zinssätze um 25 Basispunkte, gab aber ihre bisher klarste Prognose ab, dass eine nennenswerte Trendumkehr der Daten erforderlich sei, um weitere Erhöhungen zu rechtfertigen. Auch wenn der Höchststand der Zinssätze nun erreicht sein könnte, gehen wir davon aus, dass die Politik noch für einen längeren Zeitraum restriktiv bleiben wird, um die Inflation ohne einen Wachstumsschock wieder auf das Zielniveau zu bringen. Die in den kommenden Monaten veröffentlichten Daten werden einen besseren Eindruck von den verzögerten Auswirkungen früherer Zinserhöhungen auf die Wirtschaft vermitteln.

T. Rowe Price: Nächster Zinsschritt eine Senkung

Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price schreibt: Der nächste Zinsschritt wird wahrscheinlich eine Senkung sein, und zwar früher als erwartet. Der Euro wird weiter an Wert verlieren. Die EZB hat heute die Leitzinsen um 0,25 Prozent erhöht. Damit erreicht der Einlagensatz den höchsten Stand seit der Einführung des Euro. Allerdings betonte die EZB in ihrer Mitteilung, dass die Finanzierungsbedingungen nun die Nachfrage belasten. Zudem stellte die EZB fest, dass die Zinssätze ein Niveau erreicht hätten, das, wenn es lange genug beibehalten werde, einen wesentlichen Beitrag zur Rückkehr der Inflation zum Zielwert leisten werde. Meiner Meinung nach hat die EZB signalisiert, dass die Zinsen für einige Zeit auf diesem Niveau bleiben werden und dass die Messlatte für eine künftige Zinserhöhung hoch liegt. Die Märkte stimmen dem zu.

Sie rechnen mittlerweile mit einer vollständigen Zinssenkung bis zum 24. Juli, nachdem die Wahrscheinlichkeit gestern Abend noch bei 30 % lag. EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte, dass es von den Daten abhängen werde, wie lange die Zinsen auf diesem Niveau bleiben werden. Der EZB-Rat hat diese Frage auf dieser Sitzung nicht diskutiert, obwohl einige Mitglieder des EZB-Rates es vorgezogen hätten, den Zinssatz auf dieser Sitzung unverändert zu lassen. Ich gehe davon aus, dass sich die Daten in den nächsten drei bis sechs Monaten weiter verschlechtern werden, und zwar schneller, als von der EZB erwartet wird. Die EZB unterschätzt möglicherweise die Auswirkungen der sehr starken geldpolitischen Straffung, die sie der Wirtschaft im vergangenen Jahr auferlegt hat.

Wie EZB-Chefin Christine Lagarde betonte, ist der Arbeitsmarkt nach wie vor widerstandsfähig – aber ich glaube, dass die Wende am Arbeitsmarkt schneller kommen wird als erwartet. In Deutschland, Italien und Frankreich sind die Arbeitslosenquoten im Juli bereits gestiegen. Die Gesamtarbeitslosenquote blieb im Juli nur deshalb auf ihrem Rekordtief, weil die Arbeitslosigkeit in Spanien weiter zurückgeht. Da die Umfragen jedoch darauf hindeuten, dass der Dienstleistungssektor in Spanien zu schrumpfen beginnt, ist es unwahrscheinlich, dass die spanische Outperformance bei der Arbeitslosigkeit von Dauer sein wird. Die Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt in den kommenden Monaten weiter verschlechtern wird. In der Vergangenheit hat die EZB die Zinsen in der Regel dann gesenkt, wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt deutlich zu verschlechtern begann.

Ich denke, dass wir dieses Stadium in den nächsten 6 Monaten oder so erreichen werden. Das bedeutet eine frühere Zinssenkung, als die Märkte derzeit erwarten. Ich glaube, dass die EZB den Leitzins im nächsten Jahr deutlich senken wird, sobald sich die Lage am Arbeitsmarkt ändert. Die Märkte werden weitere Zinssenkungen im Laufe des nächsten Jahres einpreisen müssen, wenn die Daten in den kommenden Monaten schwach ausfallen. Der Euro ist jetzt datenabhängig und wird weiter fallen. Ich glaube, dass die Daten schwach bleiben oder sich weiter verschlechtern werden. Der Euro dürfte bis Jahresende auf 1,05 gegenüber dem Dollar fallen, da weitere Zinssenkungen eingepreist sind.



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