Seit Monaten haben Analysten und Marktbeobachter verstärkt den Blick auf den Markt für Gewerbeimmobilien geworfen. Hohe Zinsen stellen Projektenwickler und Vermieter vor immense Probleme, wenn Umschuldungen anstehen. Zudem ist dank Homeworking in Folge von Corona viel Leerstand bei Büroimmobilien zu beklagen, ebenso bei Einzelhandelsimmobilien dank hoher Inflation und Kaufzurückhaltung. Jetzt werden die Folgen langsam auch in den Preisen immer klarer sichtbar. Die Korrektur am europäischen Markt für Gewerbeimmobilien nimmt laut aktuellen Daten von Bloomberg kräftig Fahrt auf, da die steigenden Zinsen auf die Bewertungen drücken. Das Tempo ist allerdings immer noch geringer als in Großbritannien.
10,8 % Preissturz bei Gewerbeimmobilien in Europa
Der europäische Immobilienindex von MSCI, der die ungehebelte Wertentwicklung von direkt gehaltenen Gewerbeimmobilien von einer Bewertung zur nächsten abbildet, zeigt für Europa und für Deutschland im ersten Quartal einen Rückgang von 10,8 % im Jahresvergleich, während in Großbritannien ein Wertverfall von 16 % zu beobachten war. Mit dem Ende des billigen Geldes sinken die Bewertungen von Bürogebäuden, Einzelhandelsobjekten und Lagerflächen schneller als bei früheren Krisen. In London gibt es bereits Anzeichen dafür, dass der schlimmste Teil der Preiskorrektur überstanden sein könnte.
In Märkten wie Deutschland indessen zögern die Vermieter von Gewerbeimmobilien angesichts der Marktflaute, Objekte zu veräußern. Deals sind Mangelware. Gutachter haben vor diesem Hintergrund allerdings auch weniger Anhaltspunkte, wohin sich die Bewertungen am Markt bewegen.
Expertenaussagen
Der Druck im Refinanzierungsbereich indessen wächst. Bei einem der größten Einzelhandels-Immobilienunternehmen in Nordeuropa, der finnischen Citycon Oyj, ist die Bonitätsnote deshalb schon auf Ramschstatus gesunken. Unter Druck geraten sind auch die schwedischen Immobilienfirmen Samhallsbyggnadsbolaget i Norden AB und Fastighets AB Balder.
In einem Moody’s-Bericht zum Shoppingcenter-Betreiber Citycon heißt es, das Betriebsumfeld für dessen Mieter verschlechtere sich zunehmend. Die Inflation schmälere die Kaufkraft der Verbraucher, sagen die Bonitätswächter, die das Unternehmen herabgestuft haben. Sie verwiesen dabei auf den hohen Verschuldungsgrad und die steigenden Zinsaufwendungen.
In Großbritannien ist dagegen zu hoffen, dass in puncto Preisverfall bei Gewerbeimmobilien das Schlimmste überstanden ist. “Ich wäre enttäuscht, wenn sich unsere Bewertungen noch viel weiter korrigieren”, sagte Graham Clemett, Chef der Londoner Workspace Plc, und verwies auf die fortgesetzten Anstiege bei den Mieten. Im vergangenen Monat musste der Reit ein Portfolio britischer Lagerhäuser mit einem Abschlag von 27 % auf den Buchwert vom September verkaufen.
Der Zeitpunkt der Talsohle werde letztlich davon abhängen, wie “hartnäckig” die hohe Inflationsrate bleiben wird, sagt Sue Munden, Immobilienanalystin bei Bloomberg Intelligence. Zur Eindämmung der Teuerung hat die Bank of England die Zinsen stärker angehoben als die Europäiche Zentralbank.
Goldman Sachs geht davon aus, dass sich der Londoner Büromarkt weiter verschlechtern wird, da sich das Segment an die Realitäten nach der Pandemie anpasst und neue Objekte das Mietniveau drücken. “Die Stimmung in Bezug auf den Besitz von Büroimmobilien ist nach wie vor schlecht”, schrieben Analysten um Jonathan Kownator. Die Deal-Aktivität im Sektor liege in der Nähe der Tiefs, die in der globalen Finanzkrise zu beobachten waren.
Laut Daten des Maklerhauses Savills Plc. dauerte es in der Vergangenheit, auch nach der globalen Finanzkrise, etwa zwei Jahre, bis der Abschwung voll durchgeschlagen hat. “Während in Kontinentaleuropa ein moderater Preisrückgang zu verzeichnen ist, scheint der Markt für Gewerbeimmobilien in Großbritannien der Entwicklung einige Monate voraus zu sein”, so Savills-Bewertungsexperte Nick Harris. Die Korrektur der britischen Immobilienwerte sei die rapideste, an die er sich erinnern könne.
FMW/Bloomberg
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