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EZB-Politik könnte Rezession beschleunigen – Expertenkommentar

Frankfurter Skyline
Foto: Wirestock-Freepik.com

Unter Marktbeobachtern ist es eine oft gehörte Meinung, die Sinn ergibt: Die EZB hält zu lange an hohen Zinsen fest. Denn sie blamierte sich Anfang 2022, als sie den Anstieg der Inflation einfach nicht sehen wollte. Jetzt aber soll die Inflation mit nachhaltig hohen Zinsen endgültig besiegt werden? Aber zu lange zu hohe Zinsen würgen die Wirtschaftsleistung zunehmend ab, eine nun anstehende Rezession in der Eurozone könnte daher noch schlimmer ausfallen, je länger die EZB die Zinsen oben belässt? Die Märkte erwarten schon in Frühjahr Zinssenkungen, die EZB aber ist zurückhaltender. Hier zeigen wir zur drohenden Rezession einen Originaltext von Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price.

Negative Faktoren sorgen für Rezession

Die Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland sind im Oktober gegenüber dem Vormonat um 3,7 % gesunken. Dies ist ein historisch gesehen sehr starker Rückgang und liegt weit über dem in den Konsensprognosen erwarteten Anstieg von 0,2 %. Der größte Teil war auf einen Rückgang bei den Investitionsgütern und den Auslandsaufträgen zurückzuführen – normalerweise ein Signal für einen deutlichen Rückgang der Auslandsnachfrage. Der Rückgang war jedoch ausschließlich auf einen Rückgang bei den Großaufträgen zurückzuführen, wodurch die Aussagen dieses Indikators häufig verzerrt werden. Werden die Großaufträge ausgeklammert, stiegen die Auftragseingänge im Oktober gegenüber dem Vormonat sogar um 0,7 %.

Insgesamt sind dies keine guten Nachrichten für die deutsche Wirtschaft, aber bei weitem nicht so schlecht, wie es die Zahlen suggerieren. Andere Daten deuten darauf hin, dass die Lagerbestände der deutschen Fabriken derzeit sehr niedrig sind. Das bedeutet, dass die Produktion in Zukunft etwas ansteigen oder vielleicht in geringerem Maße schrumpfen wird, um die Lagerbestände wieder aufzufüllen, auch wenn die Auftragslage im Moment schwach zu sein scheint. Diese Lagerhaltungszyklen haben die Produktion in der Vergangenheit stark angetrieben. Wir gehen daher davon aus, dass die PMI-Erhebungen eine Verbesserung im verarbeitenden Gewerbe anzeigen werden.

Während wir eine kurzfristige Verbesserung des verarbeitenden Gewerbes erwarten, wird die größte Belastung für die Wirtschaft im nächsten Jahr die Haushaltskürzung infolge des Verfassungsgerichtsurteils sein, die mindestens 20-30 Mrd. Euro betragen wird. Eine finanzpolitische Kürzung zu einer Zeit, in der die Wirtschaft bereits schwach ist, wird die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr wahrscheinlich wieder in die Rezession stürzen. Dies ist der wichtigste Gegenwind, den die Anleger im Auge behalten sollten, sobald weitere Informationen über den deutschen Haushalt vorliegen.

Ausblick auf EZB-Maßnahmen

Die Finanzmärkte werden die Daten zu den Auftragseingängen heute Morgen wahrscheinlich als eindeutig rückläufigen Indikator interpretieren und wahrscheinlich noch mehr geldpolitische Lockerungen für die EZB im nächsten Jahr in die Geldmarktkurve einpreisen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass für das nächste Jahr eine zu frühe geldpolitische Lockerung der EZB im Markt eingepreist ist. Wenn man bedenkt, wie unbeständig die Stimmung an den Märkten heute ist, braucht die EZB vielleicht nur ein paar Datenüberraschungen, um die Marktpreise erfolgreich auf eine erste Zinssenkung im Juni zu verschieben. Dessen sollten sich die europäischen Anleiheinvestoren bewusst sein, denn die große Rallye bei europäischen Anleihen könnte in naher Zukunft eine Korrektur erfahren.

Tomasz Wieladek
Tomasz Wieladek



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