Gas

Gasdrehkreuz am Bosporus? Wie Russland und die Türkei mit Gashub Probleme lösen wollen

Wird es einen Gas-Hub in der Türkei geben? Russland kämpft um einen zukünftigen Zugang zum europäischen Gasmarkt.

Wladimir Putin

Nachdem Präsident Wladimir Putin seinem „Mann des Wortes“, wie er Recep Tayyip Erdogan nennt, die Idee von einem Gashub für Europa am Bosporus schmackhaft gemacht hat, prüfen Experten und Regierungsvertreter den Fall. Insbesondere Experten aus Russland sind skeptisch. Den europäischen Absatzmarkt aufzugeben, ist für sie dennoch keine Option. Die Türkei will mit einem internationalen Drehkreuz für Pipeline-Gas und verflüssigtes Erdgas (LNG) einem Kollaps durch Hyperinflation entgegentreten (Inflation aktuell 85,5 %). Fehlende Absatzmärkte für Russland und hohe Inflation in der Türkei drängen beide Länder zu einem Hub-Projekt?

Gas aus Russland für die grüne Energiewende

Geht es nach Präsident Putin, kann es mit der Einrichtung des Gashubs am Bosporus nicht schnell genug gehen. Ende Oktober erklärte er auf einer Pressekonferenz, wieso das so wichtig ist. „Gaskäufer gibt es immer. Dieses Produkt ist weltweit sehr gefragt.“ Gas sei wegen seiner geringen Emissionen ein umweltfreundlicher und idealer Primärenergieträger für den Übergang zu einer „grünen“ Energieversorgung, so Putin. Daher rechnet er mit großer Nachfrage auch aus Europa und mit vielen neuen Verträgen. Die Beziehungen zu den europäischen Partnern seien jedoch schwierig. Hinzu kämen die tragischen Ereignisse an den Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in der Ostsee. Über die Schäden durch die Explosionen habe ihn Alexej Miller, Chef des russischen Gaskonzerns Gazprom, informiert.

Demnach klafft Putins Worten zufolge zwischen den zwei Einschlagskratern von jeweils drei und fünf Meter Tiefe an Nord Stream 1 insgesamt eine Lücke von 259 Meter. Herausgerissene Rohrstücke seien um 90 Grad verbogen und Bruchstücke 40 Meter weit in Richtung Nord Stream 2 geschleudert worden, so dass auch diese Gasleitung beschädigt sei. „Es handelt sich eindeutig um einen Terroranschlag“, schlussfolgerte daraus Putin. Auf einen intakten Leitungsstrang von Nord Stream 2 wies er indessen nicht mehr hin, sondern bekräftigte, wieso die Zusammenarbeit mit der Türkei einfacher ist. So sei Erdogan erstens ein Mann, der Wort hält. Verhandlungen seien mit ihm zwar kompliziert, aber nach erzielter Einigung gehe es sofort an die Umsetzung. „Zweitens ist es für uns einfacher, das Schwarze Meer zu kontrollieren. Deswegen sei der Gashub „ein sehr realistisches Projekt, und wir werden es ziemlich schnell umsetzen können“, sagte Putin.

Die Türkei setzt auf mehr Lieferoptionen

„Natürlich ist Russland ein wichtiger Akteur, ein wichtiges Lieferland“, bekräftigte Energieminister Fatih Dönmez im türkischen Fernsehen. Bis vor kurzem hätten Lieferungen aus Russland bis zu einem Drittel den Gasbedarf in Europa gedeckt. „Was die Türkei betrifft, so macht russisches Gas mindestens 40 Prozent des Verbrauchs unseres Landes aus. Wir werden uns jedoch nicht nur auf eine Lieferquelle konzentrieren. Wir setzen in Zukunft auf den Iran, Aserbaidschan, Irak und beim Thema LNG auf die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Oman. Gleichzeitig handeln wir aktiv LNG mit Algerien und sogar mit Nigeria. Bei Bedarf kaufen wir LNG aus den USA“, umriss der Energieminister das Spektrum von Lieferoptionen.

Außerdem liefen Gespräche mit Libyen. Bei geeigneten Bedingungen könnten Gaslieferungen aus Ägypten und Israel hinzukommen. Anfragen zum Gaseinkauf kämen sogar aus dem asiatisch-pazifischen Raum. Die Türkei sei eines der Länder mit dem reichsten Ressourcenzufluss und der größten Vielfalt im Vergleich zu anderen Gashandelszentren in der Welt. Es gebe Gaszuflüsse aus fast 15 Ländern. Das sei ein Vorteil und beschränke sich nicht nur auf die Angebotsseite, erläuterte Dönmez. Bis zum Jahresende soll ein Fahrplan zur Einrichtung eines Gashubs in Thrakien vorliegen und im Januar-Februar eine Konferenz stattfinden, auf der Liefer- und Abnahmeländer sich über ihre Anliegen austauschen können.

Mit Gas gegen Hyperinflation

Derweil macht das Land am Bosporus mit Hyperinflation von sich Reden. Anfang November lag die Inflation in der Türkei auf dem Rekordniveau von 85,5 Prozent. Das Ende der Fahnenstange scheint da noch nicht erreicht zu sein. Inoffiziell soll die Teuerungsrate längst dreistellig sein. Erdogan verfolgt seinen eignen geldpolitischen Kurs und wies die Zentralbank trotz hoher Inflationsraten an Zinsen weiter zu senken, um das Wirtschaftswachstum im Land zu beflügeln. Dies beflügelt indes die Inflation, die die Wirtschaft massiv beeinflusst, was für die Wahlen im nächsten Jahr nichts Gutes verheißt. Wie ein Damoklesschwert könnte sie das Schicksal von Präsident Erdogan besiegeln. Nicht nur die Bevölkerung spürt den Wertverfall. Energieträger sind ebenfalls teuer. Ohne Zahlungsaufschub gegenüber dem größten Lieferanten Russland geht es nicht.

Putins Anstoß zu einem Gashub sorgte vor diesem Hintergrund in der Türkei für viel Furore. Türkische Experten raten zu einem internationalen Drehkreuz für Gastransporte via Pipeline und Schiff, damit es sich lohnt. Es sei unmöglich ein Handelszentrum nur mit russischem Gas zu sein. „Die Türkei muss andere Gasressourcen mobilisieren, insbesondere über die TANAP“, erklärte der ehemalige Handelsvertreter der Türkei in Russland, Aydin Sezer. Ebenso sei die Anerkennung des Rechts der Türkei zum Reexport von Erdgas durch Russland Voraussetzung. Europäische Länder, die kein Gas aus Russland kaufen, weil sie nicht in Rubel zahlen könnten, könnten so den Zahlungsverkehr mit der Türkei regeln. Mittels transanatolischer Gaspipeline TANAP ließen sich Gaslieferungen aus Aserbaidschan und künftig auch aus Turkmenistan nach Europa einbinden, erläuterte Ugur Yasin Asal, Leiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Handelsuniversität Istanbul.

Bauprojekte für neue Gasleitungen unsicher

Auf russischer Seite hält es Alexander Frolow, stellvertretender Generaldirektor des Instituts für Nationale Energie auf dem Gebiet der Europäischen Union eine passende Gasinfrastruktur für notwendig, um die Gasmengen vom Gashub in der Türkei zu den Verbrauchern transportieren zu können. Bestehende Kapazitäten bis hin nach Norditalien müssten ausgebaut werden. Außerdem biete sich das europäische Poseidon-Projekt an, um mehr Gas von Griechenland nach Italien zu transportieren. Ob das einen Konsens in Europa findet, sei unklar. Skepsis äußerte auch der stellvertretende Generaldirektor des Nationalen Energiesicherheitsfonds Alexej Griwatsch. Im Raum ständen Europas Bekundungen, sich vom russischen Gas zu lösen. Dazu stelle sich die Frage, wer die Verlegung von weiteren Leitungssträngen im Schwarzen Meer finanziert. Dies könne ein internationales Konsortium aus russischen, türkischen und europäischen Energieunternehmen sein. Wie realistisch das ist, ließ Griwatsch offen.

Auch wenn die derzeitigen Beziehungen zwischen Russland und der EU in einer gewaltigen Krise stecken, sollte Moskau die Hände nicht in den Schoss legen und Europa als Absatzmarkt für Energieressourcen drangeben. Dafür sprach sich Griwatsch Forschungskollege und Generaldirektor vom Nationalen Energiesicherheitsfond Konstantin Simonow aus. Die Idee zur Schaffung eines Gashubs in der Türkei habe „viele kontroverse Punkte, aber das wichtigste Plus ist, dass wir weiter um den europäischen Gasmarkt kämpfen.“ Es sei absolut richtig diesen Markt nicht freiwillig mit einem Handstrich zu verlassen. Zu Buche schlügen 150 Milliarden Kubikmeter Gas, die Russland einst nach Europa exportierte. Wie Erdogan braucht Putin lukrative Einnahmequellen, um die Wirtschaft im Land am Laufen zu halten. Was er zu wenig auf der Rechnung hat, ist, dass die Sowjetunion bankrott war und deswegen zum Einsturz kam. Das wirtschaftliche Faustpfand in der Ostsee mit einem Handstreich zu verspielen, ist eine verlustreiche Hypothek, die die türkische Option nicht ausgleichen kann.



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