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Blick auf das zweite Halbjahr S&P 500: Hausse-Fortsetzung? Strategen skeptisch wie selten zuvor

Profis und Privatanleger sind sich uneins über die Fortsetzung der Hausse im S&P 500 im zweiten Halbjahr. Hier dazu eine Analyse.

Geschieht an den Börsen das Unwahrscheinliche, dass Leitindizes wie der S&P 500 oder der DAX 40 auch in den nächsten Monaten unbeirrt nach oben streben, ungeachtet konjunktureller und geldpolitischer Bremsfaktoren? Die Masse der Analysten an der Wall Street ist ganz und gar nicht mit dieser Einschätzung einverstanden, ganz im Gegenteil: der Konsensus für das Jahresende 2023 ist so negativ wie noch nie in den letzten beiden Jahrzehnten. Wer kann sich an ein Börsenjahr erinnern, in dem Big Money für so lange Zeit so lange negativ eingestimmt war für den Markt, und dieser dennoch stets weiter nach oben gezogen ist?

Man bleibt bei der großen Vorsicht, bei einem Markt, der so viele widersprüchliche Nachrichten verdaut hat, ob Bankenkrise oder die andauernden Zinsanhebungsankündigungen der Federal Reserve. Und dabei ist man noch in die eine oder andere Short Squeeze getappt. Was bedeutet diese große Skepsis für S&P 500, Nasdaq und Co? Eine Haltung der Vernunft mit dem Vertrauen auf die Schwerkraft der Finanzmärkte (Reversion to the Mean) oder die nächste Falle, resultierend aus einer zu großen Einigkeit?

S&P 500: Die Wall Street misstraut der Statistik – man sieht erheblichen Korrekturbedarf

Wie oft wurden schon Statistiken veröffentlicht, die aufzeigen, wie gut die erste Jahreshälfte gelaufen ist und wie stark dann auch das restliche Jahr für S&P 500 und DAX gefolgt ist? Hier ein 90-Jahres-Rückblick, der aufzeigt wie stark der S&P 500 im ersten Halbjahr – getrieben von den Magnificent Seven – gestiegen ist.

Historischer Rückblick auf die Performance im S&P 500

In wenigen Börsenjahren kam es danach zu substanziellen Rückschlägen bis zum Jahreswechsel, und nur 2019 lief es in den letzten Jahrzehnten noch etwas besser als derzeit. Aber was erwartet Big Money bis zum Jahresende – mit Ausnahme der US-Großbank Goldman Sachs, die das Jahresendziel etwas angehoben hat (4500 Punkte)? Deutlich tiefere Kurse als aktuell. Stehen wir vor dem „bärischsten“ Halbjahr seit Langem?

Bärische Einschätzung für den S&P 500

Umfrage der Bank of America

Die aktuelle Umfrage der Bank of America für den Monat Juli ist da und sie bestätigt eines: Die Institutionellen (Big Money) sind skeptisch, während hingegen die Privaten ziemlich „bullisch“ aufgestellt sind.

Fondsmanager-Umfrage

It’s psychology, stupid!

Die Entwicklung der Aktienbörse ist kurz- und mittelfristig überaus psychologisch geprägt. Darauf weisen viele Börsenweisheiten hin, wie „die Hausse nährt die Hausse“, denn nichts macht Investoren bullischer (oft auch zwangsweise) als ein dauerhaft steigender Markt. Bis alle zum Teil gehebelt eingestiegen sind und die viel zitierte Euphorie herrscht. Mit dem unausweichlichen Folgeszenario einer Kursbereinigung. Die älteren Börsianer werden sich an die Zeit um die Jahrtausendwende erinnern, als in Deutschland eine völlig ungewohnte Aktieneuphorie geherrscht hat. Ich werde einen Spruch nicht vergessen, der damals die Runde gemacht hat, angesichts des Hypes um die Deutsche Telekom, der neuen Volksaktie: „Es gibt für die Seele nichts Bedrückenderes, als einen Freund (Nachbarn) reich werden zu sehen!“

Hier eine graphische Darstellung der Emotionen im Marktzyklus. Euphorie herrscht wohl nur bei Einzelaktien wie zum Beispiel Nvidia, der Gesamtmarkt dürfte noch etwas moderater in der psychologischen Beurteilung angesiedelt sein. Der S&P 500 lag am gestrigen Tag um 19,16 Prozent seit Jahresanfang im Plus, in seiner gleich gewichteten Version (Equal Weight) nur um 8,46 Prozent. Wo stehen wir in diesem Zyklus emotional?

Zyklus im S&P 500

Warum aber hat der US-Aktienmarkt noch nicht stärker auf den schnellsten Zinszyklus aller Zeiten reagiert? Immerhin stieg der US-Leitzins in etwas mehr als einem Jahr von 0,25 % auf 5,25 %, und wird am 26. Juli wohl weiter steigen. Natürlich gibt es hierfür mehrere Ursachen, so wie die unglaubliche Geldmenge, die in den USA auf die Konsumenten ausgeschüttet wurde, und den engen Arbeitsmarkt der (bisher) Monat für Monat auf seinem 50-Jahreshoch verharrt. In punkto Beschäftigung, was damit verhindert, dass die Amerikaner in ein finanzielles Loch fallen, angesichts eines fehlenden sozialen Netzes wie es dies zum Teil in Europa gibt.

Aber es gibt auch den großen Rückgang einer Inflation (zuletzt von 4 auf 3 %), die in Teilbereichen dem US-Konsumenten wieder etwas mehr an Kaufkraft verschafft. Schön ersichtlich ist dies in dieser Grafik von Charlie Bilello, die zeigt, wie es nach 25 Monaten an negativem Realeinkommen mit den Verbraucherfinanzen wieder etwas besser dasteht.

Stundenlöhne in den USA

Was sich auch im Index für das US-Verbrauchervertrauen in der Uni Michigan niedergeschlagen hat. Man verlässt das tiefe Tal der Tränen, alles nur ein Strohfeuer?

Entwicklung beim US-Verbrauchervertrauen

Es bleibt wohl bei der alten Feststellung, angesichts der überragenden Bedeutung dieser Kenngrößen für das Bruttoinlandsprodukt: Solange der Konsum nicht einbricht, Dienstleistung nicht schwächelt, gibt es keine Rezession in den USA.

S&P 500: Seid vorsichtig mit dem, was ihr euch wünscht!

Zugegeben, es ist noch etwas früh, um auf dieses mögliches Szenario hinzuweisen. Dasjenige, welches droht, wenn die Notenbank beginnt die Zinsen zu senken. Aus der Vorfreude darauf, verbunden mit steigenden Kursen in einer Phase der Zinspause, wurde in den letzten beiden großen Zyklen (2000/2007) ein Abverkauf beim Weltleitindex S&P 500.

S&P 500 Chart

Fazit

Natürlich ist die aktuelle Einschätzung der Wall Street-Auguren kein absolut zuverlässlicher Indikator – aus Sicht der Sentimenttheorie. Aber sie gibt dennoch zu denken, weil Einigkeit an der Börse immer ein Warnzeichen ist und im Falle von Pessimismus sogar eine Art Auffangschirm darstellt. Weil dies zu Absicherungen führt und in der Folge zu den berühmt-berüchtigten Short Squeezes (Eindeckungskäufen). Was hatten die Angelsachen von europäischen Aktien im Herbst erwartet, was große US-Investmenthäuser für die ersten beiden Quartale für die US-Börsen? Große Einbrüche – und was geschah?

Was für ein Wirtschafts – und Börsenzyklus! Die Modelle der Notenbanken versagten schon länger nach der Einstufung der Inflationsentwicklung (transitory), die Ökonomen rechneten fest mit einer US-Rezession schon im Winter 2023, die Gewinne der Unternehmen sollten schon im ersten Quartal den S&P 500 in Richtung 3.200 Punkte führen.

Und was passiert aktuell? Der US-Konsument bekommt durch die sinkende Inflation sogar etwas reale Kaufkraft, das Verbrauchervertrauen klettert aus seinen Tiefen empor. Und schon wieder enttäuschen die Unternehmensergebnisse für das zweite Quartal 2023 nicht (80 Prozent Beat). Klar: Dies alles kann nur ein Strohfeuer sein, denn die Wirkung der Zinsanhebungen wird sich erst nach bis acht Quartalen richtig bemerkbar machen. Gäbe es da nicht (kurz- und mittelfristig) diesen ungewöhnlich geeinten Pessimismus!

Wall Street-Straßenzeichen Foto: Travelscape – Freepik.com



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1 Kommentar

  1. Schade, dass Herr Fugmann diese Woche keine Videos machen. Ich hätte zu gern seine Kommentare zum Bullenmarkt gehört :)

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