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Urteil des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe bleibt ein Faktor, mit dem die Ampel rechnen muss

Karlsruhe bleibt ein Faktor, mit dem die Ampel rechnen muss
Karlsruher Urteil. Foto: Billionphotos - Freepik.com

Der Haushaltsplan von Christian Lindner und der Ampel ging nicht mehr auf, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Klima-Sondervermögen für verfassungswidrig erklärt hat. Mit dem Urteil zur Schuldenbremse haben die Richter bewiesen wie unabhängig sie sind, da sie nicht wie von vielen erwartet nach den Interessen der Parteien, die sie entsandt haben, geurteilt haben. Das Schulden-Urteil aus Karlsruhe hat die Ampel schließlich in eine tiefe Krise gestürzt und ein 60-Milliarden-Loch im Haushalt hinterlassen. Um das Haushaltsloch zu schließen, und womöglich weiterer Löcher durch wacklige Sondervermögen, hat die Bundesregierung am Freitag die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse nachträglich ausgesetzt. Mehr Schulden – scheint für die kriselnde Ampelkoalition derzeit die Lösung aller Probleme zu sein. Die Angelegenheit ist damit aber noch nicht ausgestanden – Karlsruhe bleibt ein Faktor, mit dem die Ampel rechnen muss.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Wenige Tage, nachdem das Urteil zur Schuldenbremse die Ampel-Koalition an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatte, erklärte ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts, im Schloßbezirk 3 in Karlsruhe, dem Sitz des Gerichts, sei alles ruhig – Business as usual.

Diese fadenscheinige Tiefenentspannung bei den Hütern des Grundgesetzes steht in krassem Gegensatz zum Panikmodus der Ampel in Berlin — und spiegelt vielleicht das Selbstbewusstsein einer Institution wider, die durch ihr Ansehen und ihre Unabhängigkeit weit über Deutschlands Grenzen hinaus Einfluss hat. Die gläsernen Wände des Gerichtsgebäudes aus den 1960er Jahren — 600 km Luftlinie von den Auseinandersetzungen in der Hauptstadt entfernt — sollen zwar Transparenz symbolisieren. Doch ganz so offen ist man dann auch wieder nicht, wie Bloomberg berichtet.

Das Schock-Urteil, das die in Berlin so beliebten Sondervermögen — Hunderte von Milliarden Euro — nun in Frage stellt, sorgte schließlich dafür, dass Finanzminister Christian Lindner am Donnerstag das Gegenteil von dem verkünden musste, was er versprochen hatte: Die Schuldenbremse soll nun doch auch für das Jahr 2023 ausgesetzt werden. Das Ganze hat die Märkte nicht kalt gelassen und Zweifel geweckt, ob Deutschland weiter in den Umbau seiner Wirtschaft wird investieren können.

Karlsruher Richter: Hüter der Grundrechte

Das Bundesverfassungsgericht hat sich über die Jahrzehnte ein großes Renommee als Hüter der Grundrechte erworben. Aber es gibt auch Unbehagen, weil die Karlsruher Richter der Politik nicht selten sehr detailfreudige Vorgaben machen — und sich dabei ab und zu auf dem schmalen Grat zwischen Juristerei und Übergriff in die Politik bewegen. Nach dem Haushaltsurteil kommentierte die Süddeutsche Zeitung, Karlsruhe sei “unterwegs auf gefährlichem Kurs” und habe sich eine “Lizenz zum Mitregieren” angemaßt.

In dem Verfahren war Richterin Sibylle Kessal-Wulf Berichterstatterin — sie entwarf also das Urteil. Die ehemalige BGH-Richterin — die von der Union nominiert worden war — konnte genügend Mitglieder des Kollegiums überzeugen, um den Nachtragshaushalt zu kippen. Unklar ist, ob die Entscheidung einstimmig erging. Anders als in vielen anderen Verfahren hat das Gericht nicht bekannt gegeben, wie man abgestimmt hat. Allerdings wurde auch keine abweichende Meinung veröffentlicht.

Ein wichtiger Verbündeter, wenn nicht gar Treiber in der Sache, dürfte Peter Müller gewesen sein. Der ehemalige saarländische Ministerpräsident von der CDU überraschte im April, als er — so berichtete es die Saarbrücker Zeitung — bei einem CDU-Empfang in Merzig offen die richterliche Zurückhaltung beiseite schob und die “atemberaubende” Verschuldung kritisierte, die Deutschland und die Europäische Union in den letzten Jahren angehäuft hätten.

Er knüpfte sich dabei auch die Sonderfonds – das sogenannte Sondervermögen – vor, denen das Urteil nun strenge Auflagen macht. Sein Auftritt fiel in die Zeit, als man in Karlsruhe die CDU-Klage bearbeite. Die Ampel-Koalition hätte daraufhin anregen können, dass der Senat prüft, ob Müller nun befangen sei, hat dies aber nicht getan.

Urteil zur Schuldenbremse: Richter stürzen Ampel in die Krise - Karlsruhe bleibt ein Faktor

Sowohl Müller als auch Kessal-Wulf scheiden demnächst aus dem Gericht aus — ihre zwölfjährige Amtszeit endet. Das Urteil war somit ihr Abschiedswerk. Zum Nachfolger Müllers wurde am Freitag auf Vorschlag der CSU Generalbundesanwalt Peter Frank gewählt.

Verfassungsgericht: USA als Vorbild

Als die Bundesrepublik 1949 das Grundgesetz verabschiedete, schlug die Geburtsstunde des mächtigen Verfassungsgerichts. Zum Teil war der Obersten Gerichtshof der USA hier Vorbild.

Die Ernennung von Richtern ist zwar Teil des politischen Prozesses, aber anders als in den USA gibt es keine öffentlichen Anhörungen und den damit verbundenen Medienrummel. Nur wenige kennen überhaupt die Namen der deutschen Verfassungsrichter, die man in ihren leuchtend roten Roben abends in den Fernsehnachrichten sieht.

Sie werden nach einem etwas undurchsichtigen Verfahren nominiert, auf das sich die mächtigeren Parteien im Parlament geeinigt haben (AfD und Linke bleiben dabei außen vor). Gewählt werden sie dann entweder vom Bundestag oder vom Bundesrat, jeweils mit Zweidrittelmehrheit. Kandidaten brauchen also parteiübergreifenden Konsens, was dafür sorgt, dass die Karlsruher Richterbank nicht an der ideologischen Spaltung krankt, die ihr Pendant in Washington in den vergangenen Jahren befallen hat.

Die Verfassungsrichter sehen ihr Haus gern als “Bürgergericht”, und in der Tat kann jedermann ohne Rechtsbeistand eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Von den 5.361 Verfassungsbeschwerden, über die im Jahr 2020 entschieden wurde, hatten jedoch nur 111 Erfolg. Aber die schmale Quote konnte den Ruf des Gerichts nicht trüben. In Umfragen erhält Karlsruhe regelmäßig mit Abstand die höchsten Zustimmungs- und Vertrauenswerte alle staatlichen Institutionen.

Das Gericht nahm seine Tätigkeit 1951 auf und bewies schnell seine Unabhängigkeit. Ein berühmtes frühes Beispiel war das Fernseh-Urteil, das Konrad Adenauers Plan durchkreuzte, einen nationalen (und regierungsnahen) TV-Sender zu gründen. Der damalige Bundeskanzler soll daraufhin über das Gericht gesagt haben: “So habe ich mir das nicht vorgestellt.”

Richtungsweisende Urteile zu Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und anderen Grundrechten haben den Ruf des Gerichts über die Jahrzehnte geprägt. “Ich gehe bis nach Karlsruhe” wurde zu einem beliebten Schlachtruf der Deutschen.

Den hörte man häufig auch in Berlin. Wegen der vielfältigen Klagemöglichkeiten landen die meisten politischen Konflikte in Deutschland früher oder später vor dem Verfassungsgericht.

Politische Unabhängigkeit wahren

Das Gericht besteht aus zwei Senaten mit je acht Richtern. Der Erste Senat verhandelt vornehmlich Verfahren um Grundrechte. Der Zweite Senat, der das Urteil zur Schuldenbremse erließ, ist für Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen zuständig.

Trotz des politischen Einflusses im Ernennungsverfahren stimmen die Richter nicht strikt nach Parteibuch ab — in den Karlsruher Beratungszimmern ist allzu politisches Auftreten ohnehin verpönt. Als während der Finanzkrise fast jede Maßnahme zur Euro-Rettung vor dem Verfassungsgericht landete, orchestrierten der konservative Peter Huber mit dem SPD-nominierten Andreas Voßkuhle gemeinsam die Mehrheiten.

Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewann damals zwar formell immer. Die Richter beanstandeten jedoch regelmäßig trotzdem die Vorgehensweise (und damit letztlich die massive Verschuldung) und legten der Regierung Fesseln an — meist, indem sie mehr Mitsprache des Parlaments verlangten. Diese Entscheidungen wurden gerne als “Ja, aber”-Urteile bezeichnet.

Die einzige Klage, der stattgegeben wurde, war das Urteil aus dem Jahr 2020 zum Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank. Die Entscheidung hätte beinahe eine EU-Krise ausgelöst, weil sich Karlsruhe weigerte, einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu folgen. Doch die deutschen Richter ließen der EZB am Ende doch wieder eine Hintertür offen, was half, den Konflikt zu entschärfen.

Ein “Ja, aber”-Urteil haben deshalb auch diesmal alle in Berlin — einschließlich der CDU/CSU selbst — erwartet, meint Oliver Lepsius, Juraprofessor an der Universität Münster. Auch während der Pandemie habe Karlsruhe vieles recht großzügig durchgewunken, weil eben Krise herrschte. Möglicherweise habe die Ampel-Koalition sich deshalb mit ihrem Nachtragshaushalt in einen Graubereich der Regeln zur Schuldenbremse vorgewagt.

“Aber diesmal lief der Hase anders”, so Lepsius. “Das könnte das Ende der großzügigen Krisen-Rechtsprechung bedeuten.”

FMW/Bloomberg



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2 Kommentare

  1. Ich gewähre dem designierten Nachfolger von Ministerpräsident a.D. Peter Müller als Bundesverfassungsrichter, Generalbundesanwalt Peter Frank erst einmal die bekannte 100-Tage-Frist.

  2. Es gibt genügend andere Fälle wo sie eben nicht unabhängig waren. Einfach mal 2,3 Jahre zurück gehen und nachdenken.

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