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Umfrage unter Ökonomen EZB-Beobachter haben Vertrauen in zeitgerechte Zinssenkungen

Ökonomen glauben, dass die EZB den richtigen Zeitpunkt für Zinssenkungen finden wird. Juni ist wohl der Termin. Hier ein Gesamtüberblick.

EZB-Chefin Christine Lagarde diese Woche in Davos

EZB-Direktoren deuten zunehmend an, dass es in der Zentralbank einen Konsens gibt für eine erste Zinssenkung ab Juni. Ist das der richtige Zeitpunkt? Viele Ökonomen sehen das offenbar so. Bei ihrem Versuch, die Inflation zu zähmen, ohne dabei die Wirtschaft abzuwürgen, wird die Europäische Zentralbank (EZB) nach Meinung von Ökonomen den Lockerungszeitpunkt erfolgreich setzen. Sie gehen davon aus, dass die erste Zinssenkung im Juni erfolgen wird. Fast drei Viertel der Befragten einer Bloomberg-Umfrage sind zuversichtlich, dass die Währungshüter weder zu lange warten noch zu früh handeln werden — nachdem ihnen vorher weithin vorgeworfen wurde, zu spät auf den beispiellosen Preisschock im Währungsraum reagiert zu haben.

Umfrage: Einschätzungen von Ökonomen zur EZB-Politik

Die Ökonomen rechnen mit vier Viertelpunktsenkungen in diesem Jahr und drei weiteren im Jahr 2025, wodurch der Einlagensatz auf 2,25% fallen würde. Für die nächste Woche, wenn der EZB-Rat zu seiner ersten Sitzung in diesem Jahr zusammenkommt, werden keine Änderungen erwartet. EZB-Ratsmitglieder, darunter auch Präsidentin Christine Lagarde, haben sich in dieser Woche deutlich für eine Zinssenkung im Sommer ausgesprochen. Davor hatten Marktteilnehmer den Gegendruck der Notenbanker auf Zinssenkungswetten für das Frühjahr weitgehend ignoriert.

Märkte erwarten mehr Zinssenkungen als Ökonomen

Die Märkte erwarten nun fünf oder sechs Viertelpunktsenkungen im Jahr 2024. Sie rechnen mit einer Lockerung um 138 Basispunkte bis zum Jahresende, wobei eine 80%ige Chance gesehen wird, dass die erste Senkung im April erfolgt. Eine Schlüsselfrage ist, ob Lagarde bereit ist, die Wahrscheinlichkeit einer ersten Senkung um die Jahresmitte zur offiziellen Richtschnur der EZB zu machen. Der EZB-Rat hat die Forward Guidance im Juli aufgegeben, als er sich dem Ende seines Zinserhöhungszyklus näherte. Künftige Entscheidungen würden datenabhängig erfolgen, hieß es. Analysten sind in der Frage gespalten.

Analystenaussagen zur EZB-Politik

Es “hängt davon ab, ob bereits ein Kompromiss über den Zeitpunkt des ersten Schrittes gefunden werden kann, oder ob die Meinungen zu sehr auseinandergehen, um den datenabhängigen und sitzungsweisen Ansatz aufzugeben”, sagte Luca Mezzomo von Intesa Sanpaolo. Ulrike Kastens, Volkswirtin beim deutschen Fondsmanager DWS, erwartet, dass die EZB “im Großen und Ganzen” bei ihren Botschaften vom Dezember bleiben wird. Andrew Kenningham von Capital Economics ist ebenfalls nicht davon überzeugt, dass Lagarde bereit ist, mehr Klarheit zu schaffen. “Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen dem Wunsch der EZB, sich gegen die Markteinschätzung einer ersten Zinssenkung im April zu wehren, und dem gleichzeitigen Festhalten an der Linie, dass die EZB keine Vorgaben für die Zukunft macht und datenabhängig bleibt”, sagte er.

Obwohl sich der Sommer für eine wachsende Gruppe von Ratsmitgliedern als bevorzugte Zeitspanne herauskristallisiert — Chefvolkswirt Philip Lane und Bundesbankpräsident Joachim Nagel gehören dazu — gibt es immer noch Raum für Meinungsverschiedenheiten, und sei es nur, weil es drei Ratssitzungen von Juni bis September gibt, die dieser Jahreszeit zugerechnet werden können. “Wir sind nicht ganz abgeneigt gegenüber der Ansicht, dass die EZB im Juni mit Zinssenkungen beginnen könnte”, sagte Bas van Geffen, ein leitender Makrostratege der Rabobank. “Gleichzeitig haben die Marktpreise viel dazu beigetragen, den effektiven geldpolitischen Kurs zu lockern. Daher tendieren wir vorerst weiterhin leicht zum September.”

Grafik zeigt verschiedene Risiken für die Eurozone

Blick auf Inflation

Bis dahin kann noch eine Menge passieren. Die EZB beobachtet genau, wie die Lohnverhandlungen verlaufen und ob die Unternehmen die höheren Arbeitskosten auffangen oder weitergeben werden. Die Konflikte im Nahen Osten können die Preise für Energie und Waren, die per Schiff über das Rote Meer kommen, in die Höhe treiben. Und die Schwäche Chinas untergräbt die Hoffnungen auf einen bedeutenden Aufschwung des Handels.

Ökonomen bezeichnen die geopolitischen Spannungen als die größte Gefahr für die Eurozone. Die Befürchtungen, dass die Lieferketten wieder zusammenbrechen könnten, haben seit Dezember zugenommen, während die Inflationssorgen weiter abgenommen haben. Die Umfrageteilnehmer sagen, dass die Risiken für das Wirtschaftswachstum in diesem und im nächsten Jahr eher abwärts gerichtet sind, während die Eurozone weiterhin an einer Rezession entlang schrammt. Für die Einschätzung der EZB, dass die Inflation im Jahr 2025 die 2%-Marke erreichen wird, halten sich die Risiken ihrer Ansicht nach in etwa die Waage.

Blick auf Risiken der EZB-Projektionen

Blick auf Anleiheportfolio der EZB

Was die Anleiheportfolios der EZB betrifft, so rechnet die Mehrheit der Analysten nicht damit, dass die Reinvestitionen in das älteste Programm zur quantitativen Lockerung wieder aufgenommen werden, selbst wenn der politische Kurs akkommodierend wird. Gleichzeitig sagen drei Viertel der Befragten, dass sie sich eine Verzögerung des Beginns der nächsten Phase der quantitativen Straffung vorstellen können. Auf die Frage, was einen für Juli geplanten teilweisen Stopp der Reinvestitionen im Rahmen der PEPP-Initiative aus der Corona-Krise verzögern könnte, wurden vor allem externe Schocks und Spannungen an den Anleihemärkten, entweder in der Eurozone oder in einem einzelnen Land, genannt.

Gründe warum sich der Ausstieg aus dem PEPP-Programm der EZB verzögern könnte

Die Ökonomen erwarten, dass die EZB die Ergebnisse ihrer Überprüfung der Umsetzung der Geldpolitik im April vorlegen wird. Die Mehrheit der Befragten geht davon aus, dass die Notenbanker eine Verkleinerung der Bilanz und eine nachfrageorientierte Liquiditätsversorgung sowie ein dauerhaftes Anleiheportfolio und höhere Mindestreserveanforderungen bevorzugen.

FMW/Bloomberg



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